ihr zu begegnen; die Residentin hatte ihn und die¬ ses Mittel über den russischen Sektor und Torso vergessen; er selber hatte nicht Zudringlichkeit ge¬ nug, noch weniger den Anstand, der sie schön und pikant macht -- bis ihm Hr. v. Oefel mit einer fei¬ nen Miene sagte, die Residentin woll' ihm einige Gemälde, die der Knäse dagelassen, zu sehen ge¬ ben. "Ich wollt' ohnehin schon lange das Kopiren im Kabinet anfangen," sagt' er und täuschte we¬ niger jenen als sich. Ueber seine erröthende Ver¬ wirrung sagte Oefel zu sich; "ich weiß alles, mein lieber Mensch!"
Endlich führte ein schöner Vormittag die zwei Seelen, die sich leichter als ihre Körper fanden, bei der Residentin zusammen. Das Tageslicht, die bisherige Trennung, die neue Lage und die Liebe machten an beiden alle Reize neu, alle Züge schö¬ ner und ihren Genuß größer als ihre Erwartungen -- aber schauet euch weder zu viel noch zu wenig an, man blickt auf euer Anblicken! Oder thuts: einer Bouse verbirgst du es doch nicht, Gustav, daß dein Auge, das der Scharfsinn nicht zusammenzieht son¬ dern die Liebe aufschliesset, immer bloß in dem be¬ nachbarten Gegenständen sich aufhält, um ein Streif¬
ihr zu begegnen; die Reſidentin hatte ihn und die¬ ſes Mittel uͤber den ruſſiſchen Sektor und Torſo vergeſſen; er ſelber hatte nicht Zudringlichkeit ge¬ nug, noch weniger den Anſtand, der ſie ſchoͤn und pikant macht — bis ihm Hr. v. Oefel mit einer fei¬ nen Miene ſagte, die Reſidentin woll' ihm einige Gemaͤlde, die der Knaͤſe dagelaſſen, zu ſehen ge¬ ben. „Ich wollt' ohnehin ſchon lange das Kopiren im Kabinet anfangen,“ ſagt' er und taͤuſchte we¬ niger jenen als ſich. Ueber ſeine erroͤthende Ver¬ wirrung ſagte Oefel zu ſich; „ich weiß alles, mein lieber Menſch!“
Endlich fuͤhrte ein ſchoͤner Vormittag die zwei Seelen, die ſich leichter als ihre Koͤrper fanden, bei der Reſidentin zuſammen. Das Tageslicht, die bisherige Trennung, die neue Lage und die Liebe machten an beiden alle Reize neu, alle Zuͤge ſchoͤ¬ ner und ihren Genuß groͤßer als ihre Erwartungen — aber ſchauet euch weder zu viel noch zu wenig an, man blickt auf euer Anblicken! Oder thuts: einer Bouſe verbirgſt du es doch nicht, Guſtav, daß dein Auge, das der Scharfſinn nicht zuſammenzieht ſon¬ dern die Liebe aufſchlieſſet, immer bloß in dem be¬ nachbarten Gegenſtaͤnden ſich aufhaͤlt, um ein Streif¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0198"n="188"/>
ihr zu begegnen; die Reſidentin hatte ihn und <choice><sic>die<lb/>ſes</sic><corr>die¬<lb/>ſes</corr></choice> Mittel uͤber den ruſſiſchen Sektor und Torſo<lb/>
vergeſſen; er ſelber hatte nicht Zudringlichkeit ge¬<lb/>
nug, noch weniger den Anſtand, der ſie ſchoͤn und<lb/>
pikant macht — bis ihm Hr. v. Oefel mit einer fei¬<lb/>
nen Miene ſagte, die Reſidentin woll' ihm einige<lb/>
Gemaͤlde, die der Knaͤſe dagelaſſen, zu ſehen ge¬<lb/>
ben. „Ich wollt' ohnehin ſchon lange das Kopiren<lb/>
im Kabinet anfangen,“ſagt' er und taͤuſchte we¬<lb/>
niger jenen als ſich. Ueber ſeine erroͤthende Ver¬<lb/>
wirrung ſagte Oefel zu ſich; „ich weiß alles, mein<lb/>
lieber Menſch!“</p><lb/><p>Endlich fuͤhrte ein ſchoͤner Vormittag die zwei<lb/>
Seelen, die ſich leichter als ihre Koͤrper fanden,<lb/>
bei der Reſidentin zuſammen. Das Tageslicht, die<lb/>
bisherige Trennung, die neue Lage und die Liebe<lb/>
machten an beiden alle Reize neu, alle Zuͤge ſchoͤ¬<lb/>
ner und ihren Genuß groͤßer als ihre Erwartungen<lb/>— aber ſchauet euch weder zu viel noch zu wenig an,<lb/>
man blickt auf euer Anblicken! Oder thuts: einer<lb/>
Bouſe verbirgſt du es doch nicht, Guſtav, daß dein<lb/>
Auge, das der Scharfſinn nicht zuſammenzieht ſon¬<lb/>
dern die Liebe aufſchlieſſet, immer bloß in dem be¬<lb/>
nachbarten Gegenſtaͤnden ſich aufhaͤlt, um ein Streif¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[188/0198]
ihr zu begegnen; die Reſidentin hatte ihn und die¬
ſes Mittel uͤber den ruſſiſchen Sektor und Torſo
vergeſſen; er ſelber hatte nicht Zudringlichkeit ge¬
nug, noch weniger den Anſtand, der ſie ſchoͤn und
pikant macht — bis ihm Hr. v. Oefel mit einer fei¬
nen Miene ſagte, die Reſidentin woll' ihm einige
Gemaͤlde, die der Knaͤſe dagelaſſen, zu ſehen ge¬
ben. „Ich wollt' ohnehin ſchon lange das Kopiren
im Kabinet anfangen,“ ſagt' er und taͤuſchte we¬
niger jenen als ſich. Ueber ſeine erroͤthende Ver¬
wirrung ſagte Oefel zu ſich; „ich weiß alles, mein
lieber Menſch!“
Endlich fuͤhrte ein ſchoͤner Vormittag die zwei
Seelen, die ſich leichter als ihre Koͤrper fanden,
bei der Reſidentin zuſammen. Das Tageslicht, die
bisherige Trennung, die neue Lage und die Liebe
machten an beiden alle Reize neu, alle Zuͤge ſchoͤ¬
ner und ihren Genuß groͤßer als ihre Erwartungen
— aber ſchauet euch weder zu viel noch zu wenig an,
man blickt auf euer Anblicken! Oder thuts: einer
Bouſe verbirgſt du es doch nicht, Guſtav, daß dein
Auge, das der Scharfſinn nicht zuſammenzieht ſon¬
dern die Liebe aufſchlieſſet, immer bloß in dem be¬
nachbarten Gegenſtaͤnden ſich aufhaͤlt, um ein Streif¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/198>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.