ten wir in süßer Betäubung kaum gehen, es war uns überall wohl; wir waren Lichtstrahlen, die jedes Medium aus ihrem Wege brach; wir zogen mit der Biene und Ameise und verfolgten jeden Wohlgeruch bis zu seiner Mündung und giengen um jeden Baum; jedes Geschöpf war ein Pol, der unsere Nadel zu Deklinationen und Inklinatio¬ nen lenkte. Wir standen in einem Kreis von Dör¬ fern, deren Wege alle mit fröhligen Kirchgän¬ gern zurückkamen und deren Glocken alle die gei¬ stige Messe einläuteten. Endlich giengen wir auch der walfarthenden Andacht nach und zur Kirchthür der kühlen Ruhestätter Kirche hinein.
Wenn ein Maitre de plaisirs einem Fürsten ei¬ ne Operndekoration vorschlüge, die aus einer auf¬ ziehenden Sonne, tausend Leipziger Lerchen, zwan¬ zig lautenden Glocken, ganzen Fluren und Floren von seidnen Blumen bestände: so würde der Fürst sagen, es kostete zu viel -- aber der Freuden-Di¬ rekteur sollte versetzen, einen Spatziergang kostets -- oder eine Krone, sag' ich, weil zu einem sol¬ chen Genuß nicht der Fürst sondern der Mensch zu¬ langt.
ten wir in ſuͤßer Betaͤubung kaum gehen, es war uns uͤberall wohl; wir waren Lichtſtrahlen, die jedes Medium aus ihrem Wege brach; wir zogen mit der Biene und Ameiſe und verfolgten jeden Wohlgeruch bis zu ſeiner Muͤndung und giengen um jeden Baum; jedes Geſchoͤpf war ein Pol, der unſere Nadel zu Deklinationen und Inklinatio¬ nen lenkte. Wir ſtanden in einem Kreis von Doͤr¬ fern, deren Wege alle mit froͤhligen Kirchgaͤn¬ gern zuruͤckkamen und deren Glocken alle die gei¬ ſtige Meſſe einlaͤuteten. Endlich giengen wir auch der walfarthenden Andacht nach und zur Kirchthuͤr der kuͤhlen Ruheſtaͤtter Kirche hinein.
Wenn ein Maitre de plaiſirs einem Fuͤrſten ei¬ ne Operndekoration vorſchluͤge, die aus einer auf¬ ziehenden Sonne, tauſend Leipziger Lerchen, zwan¬ zig lautenden Glocken, ganzen Fluren und Floren von ſeidnen Blumen beſtaͤnde: ſo wuͤrde der Fuͤrſt ſagen, es koſtete zu viel — aber der Freuden-Di¬ rekteur ſollte verſetzen, einen Spatziergang koſtets — oder eine Krone, ſag' ich, weil zu einem ſol¬ chen Genuß nicht der Fuͤrſt ſondern der Menſch zu¬ langt.
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ten wir in ſuͤßer Betaͤubung kaum gehen, es war
uns uͤberall wohl; wir waren Lichtſtrahlen, die
jedes Medium aus ihrem Wege brach; wir zogen
mit der Biene und Ameiſe und verfolgten jeden
Wohlgeruch bis zu ſeiner Muͤndung und giengen
um jeden Baum; jedes Geſchoͤpf war ein Pol,
der unſere Nadel zu Deklinationen und Inklinatio¬
nen lenkte. Wir ſtanden in einem Kreis von Doͤr¬
fern, deren Wege alle mit froͤhligen Kirchgaͤn¬
gern zuruͤckkamen und deren Glocken alle die gei¬
ſtige Meſſe einlaͤuteten. Endlich giengen wir auch
der walfarthenden Andacht nach und zur Kirchthuͤr
der kuͤhlen Ruheſtaͤtter Kirche hinein.
Wenn ein Maitre de plaiſirs einem Fuͤrſten ei¬
ne Operndekoration vorſchluͤge, die aus einer auf¬
ziehenden Sonne, tauſend Leipziger Lerchen, zwan¬
zig lautenden Glocken, ganzen Fluren und Floren
von ſeidnen Blumen beſtaͤnde: ſo wuͤrde der Fuͤrſt
ſagen, es koſtete zu viel — aber der Freuden-Di¬
rekteur ſollte verſetzen, einen Spatziergang koſtets
— oder eine Krone, ſag' ich, weil zu einem ſol¬
chen Genuß nicht der Fuͤrſt ſondern der Menſch zu¬
langt.
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/310>, abgerufen am 22.11.2024.
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