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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Ausläuten oder Sieben letzte Worte an die Le¬
ser der Biographie und der Idylle.

Am 21. Junius oder längsten Tage.

Heute wird also meine kleine Rolle, wenigstens
für den ersten Auftritt, aus; sobald ich die sie¬
ben Worte gar geschrieben habe: so gehen ich und
die Leser aus einander. Aber ich trete trauriger
weg als sie. Ein Mensch, der den Weg zu einem
weiten Ziel vollendet hat, wendet sich an diesem
um und sieht mit einem Seufzer und unbefriedigt
und voll neuer Wünsche über die zurücklaufende
Straße hin, die seine schmalen Stunden wegmaß
und die er wie eine Medea mit Gliedern seines Le¬
bens überstreuete. Eh' es heute Nacht wurde,
hab' ich alle die Papierspähne, die von diesem Bu¬
che fielen, eingesargt, aber nicht, wie andre Au¬
tores, eingeäschert -- ich habe zugleich alle Briefe
der Freunde, die mir keine neue mehr schreiben
können, als Akten der in der Erden-Instanz
geschlossenen Prozesse inrotulirt und hingelegt. --
So etwas sollte der Mensch stets deponiren und alle

Auslaͤuten oder Sieben letzte Worte an die Le¬
ſer der Biographie und der Idylle.

Am 21. Junius oder längſten Tage.

Heute wird alſo meine kleine Rolle, wenigſtens
fuͤr den erſten Auftritt, aus; ſobald ich die ſie¬
ben Worte gar geſchrieben habe: ſo gehen ich und
die Leſer aus einander. Aber ich trete trauriger
weg als ſie. Ein Menſch, der den Weg zu einem
weiten Ziel vollendet hat, wendet ſich an dieſem
um und ſieht mit einem Seufzer und unbefriedigt
und voll neuer Wuͤnſche uͤber die zuruͤcklaufende
Straße hin, die ſeine ſchmalen Stunden wegmaß
und die er wie eine Medea mit Gliedern ſeines Le¬
bens uͤberſtreuete. Eh' es heute Nacht wurde,
hab' ich alle die Papierſpaͤhne, die von dieſem Bu¬
che fielen, eingeſargt, aber nicht, wie andre Au¬
tores, eingeaͤſchert — ich habe zugleich alle Briefe
der Freunde, die mir keine neue mehr ſchreiben
koͤnnen, als Akten der in der Erden-Inſtanz
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[447/0457] Auslaͤuten oder Sieben letzte Worte an die Le¬ ſer der Biographie und der Idylle. Am 21. Junius oder längſten Tage. Heute wird alſo meine kleine Rolle, wenigſtens fuͤr den erſten Auftritt, aus; ſobald ich die ſie¬ ben Worte gar geſchrieben habe: ſo gehen ich und die Leſer aus einander. Aber ich trete trauriger weg als ſie. Ein Menſch, der den Weg zu einem weiten Ziel vollendet hat, wendet ſich an dieſem um und ſieht mit einem Seufzer und unbefriedigt und voll neuer Wuͤnſche uͤber die zuruͤcklaufende Straße hin, die ſeine ſchmalen Stunden wegmaß und die er wie eine Medea mit Gliedern ſeines Le¬ bens uͤberſtreuete. Eh' es heute Nacht wurde, hab' ich alle die Papierſpaͤhne, die von dieſem Bu¬ che fielen, eingeſargt, aber nicht, wie andre Au¬ tores, eingeaͤſchert — ich habe zugleich alle Briefe der Freunde, die mir keine neue mehr ſchreiben koͤnnen, als Akten der in der Erden-Inſtanz geſchloſſenen Prozeſſe inrotulirt und hingelegt. — So etwas ſollte der Menſch ſtets deponiren und alle

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/457>, abgerufen am 24.11.2024.