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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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Ewig wird den armen durch Leiber und Wü¬
sten zertheilten Menschenseelen die Sehnsucht
bleiben, miteinander wenigstens zu gleicher
Zeit dasselbe zu thun, zu Einer Stunde Blicke
an den Mond, oder Gebete über ihn hinauf
(wie Addison erzählt); und so ist dein Wunsch,
Albano, ein menschlicher, zarter, mit deiner un¬
sichtbaren Liane zu Einer Stunde an der Al¬
tarstufe zu knieen und dann feurig und regie¬
rend aufzustehen nach der Krönung des innern
Menschen! -- Er hatte auf dem stillen Lande
den Altar der Religion in seiner Seele hoch
und fest gebauet, wie alle Menschen von hoher
Phantasie; auf Bergen stehen immer Tempel
und Kapellen.

Aber ich werde ihn nie früher in die
Pfingstkirche begleiten als auf den Kirchthurm.
Giebt es etwas Trunkneres als wenn er damals
an schönen Sonntagen, sobald durch den wei¬
ten Himmel nichts als die schwere Sonne
schwamm, zum Glockenstuhle des Thurms auf¬
stieg und überdeckt von den brausenden Wellen
des Geläutes einsam über die tiefe Erde
blickte und an die westlichen Gränzhügel der

Ewig wird den armen durch Leiber und Wü¬
ſten zertheilten Menſchenſeelen die Sehnſucht
bleiben, miteinander wenigſtens zu gleicher
Zeit daſſelbe zu thun, zu Einer Stunde Blicke
an den Mond, oder Gebete über ihn hinauf
(wie Addiſon erzählt); und ſo iſt dein Wunſch,
Albano, ein menſchlicher, zarter, mit deiner un¬
ſichtbaren Liane zu Einer Stunde an der Al¬
tarſtufe zu knieen und dann feurig und regie¬
rend aufzuſtehen nach der Krönung des innern
Menſchen! — Er hatte auf dem ſtillen Lande
den Altar der Religion in ſeiner Seele hoch
und feſt gebauet, wie alle Menſchen von hoher
Phantaſie; auf Bergen ſtehen immer Tempel
und Kapellen.

Aber ich werde ihn nie früher in die
Pfingſtkirche begleiten als auf den Kirchthurm.
Giebt es etwas Trunkneres als wenn er damals
an ſchönen Sonntagen, ſobald durch den wei¬
ten Himmel nichts als die ſchwere Sonne
ſchwamm, zum Glockenſtuhle des Thurms auf¬
ſtieg und überdeckt von den brauſenden Wellen
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[226/0246] Ewig wird den armen durch Leiber und Wü¬ ſten zertheilten Menſchenſeelen die Sehnſucht bleiben, miteinander wenigſtens zu gleicher Zeit daſſelbe zu thun, zu Einer Stunde Blicke an den Mond, oder Gebete über ihn hinauf (wie Addiſon erzählt); und ſo iſt dein Wunſch, Albano, ein menſchlicher, zarter, mit deiner un¬ ſichtbaren Liane zu Einer Stunde an der Al¬ tarſtufe zu knieen und dann feurig und regie¬ rend aufzuſtehen nach der Krönung des innern Menſchen! — Er hatte auf dem ſtillen Lande den Altar der Religion in ſeiner Seele hoch und feſt gebauet, wie alle Menſchen von hoher Phantaſie; auf Bergen ſtehen immer Tempel und Kapellen. Aber ich werde ihn nie früher in die Pfingſtkirche begleiten als auf den Kirchthurm. Giebt es etwas Trunkneres als wenn er damals an ſchönen Sonntagen, ſobald durch den wei¬ ten Himmel nichts als die ſchwere Sonne ſchwamm, zum Glockenſtuhle des Thurms auf¬ ſtieg und überdeckt von den brauſenden Wellen des Geläutes einſam über die tiefe Erde blickte und an die weſtlichen Gränzhügel der

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/246>, abgerufen am 26.11.2024.