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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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rückzukommen versprochen. Sie mied alle
Steige nach Süden, wo der Tartarus hinter
seinem hohen Vorhange drohte.

Liane sprach jetzt über den Wettstreit der
Malerei und Musik und über Herders reizen¬
den offiziellen Bericht von diesem Streite; sie,
wiewohl eine Zeichnerinn, ergab sich, dem
weiblichen und lyrischen Herzen gemäß, ganz
den Tönen, und Albano, obwohl ein guter Kla¬
vierist, mehr den Farben. "Diese herrliche Land¬
"schaft (sagte Albano) ist ja ein Gemälde und
"jede menschliche schöne Gestalt." "Wär' ich
"blind (sagte Chariton naiv), so säh' ich ja
"meine schöne Liane nicht." -- Sie versetzte:
"mein Lehrer, der Kunstrath Fraischdörfer setzte
"auch die Malerei über die Musik hinauf.
"Mir ist aber bei ihr als hört' ich eine laute
"Vergangenheit oder eine laute Zu¬
"kunft. Die Musik hat etwas Heiliges, sie
"kann nichts als das Gute*) malen, verschie¬
"den von andern Künsten." -- Wahrlich sie

*) Dieser Satz, daß die reine Musik ohne Text
nichts Unmoralisches darzustellen vermöge,

rückzukommen verſprochen. Sie mied alle
Steige nach Süden, wo der Tartarus hinter
ſeinem hohen Vorhange drohte.

Liane ſprach jetzt über den Wettſtreit der
Malerei und Muſik und über Herders reizen¬
den offiziellen Bericht von dieſem Streite; ſie,
wiewohl eine Zeichnerinn, ergab ſich, dem
weiblichen und lyriſchen Herzen gemäß, ganz
den Tönen, und Albano, obwohl ein guter Kla¬
vieriſt, mehr den Farben. „Dieſe herrliche Land¬
„ſchaft (ſagte Albano) iſt ja ein Gemälde und
„jede menſchliche ſchöne Geſtalt.“ „Wär' ich
„blind (ſagte Chariton naiv), ſo ſäh' ich ja
„meine ſchöne Liane nicht.“ — Sie verſetzte:
„mein Lehrer, der Kunſtrath Fraiſchdörfer ſetzte
„auch die Malerei über die Muſik hinauf.
„Mir iſt aber bei ihr als hört' ich eine laute
Vergangenheit oder eine laute Zu¬
kunft. Die Muſik hat etwas Heiliges, ſie
„kann nichts als das Gute*) malen, verſchie¬
„den von andern Künſten.“ — Wahrlich ſie

*) Dieſer Satz, daß die reine Muſik ohne Text
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[431/0451] rückzukommen verſprochen. Sie mied alle Steige nach Süden, wo der Tartarus hinter ſeinem hohen Vorhange drohte. Liane ſprach jetzt über den Wettſtreit der Malerei und Muſik und über Herders reizen¬ den offiziellen Bericht von dieſem Streite; ſie, wiewohl eine Zeichnerinn, ergab ſich, dem weiblichen und lyriſchen Herzen gemäß, ganz den Tönen, und Albano, obwohl ein guter Kla¬ vieriſt, mehr den Farben. „Dieſe herrliche Land¬ „ſchaft (ſagte Albano) iſt ja ein Gemälde und „jede menſchliche ſchöne Geſtalt.“ „Wär' ich „blind (ſagte Chariton naiv), ſo ſäh' ich ja „meine ſchöne Liane nicht.“ — Sie verſetzte: „mein Lehrer, der Kunſtrath Fraiſchdörfer ſetzte „auch die Malerei über die Muſik hinauf. „Mir iſt aber bei ihr als hört' ich eine laute „Vergangenheit oder eine laute Zu¬ „kunft. Die Muſik hat etwas Heiliges, ſie „kann nichts als das Gute *) malen, verſchie¬ „den von andern Künſten.“ — Wahrlich ſie *) Dieſer Satz, daß die reine Muſik ohne Text nichts Unmoraliſches darzuſtellen vermöge,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/451>, abgerufen am 22.11.2024.