O du heilige Seele, liebe meinen Jüng¬ ling! -- Bist du nicht die erste Liebe dieses Feuerherzens, der Morgenstern in der däm¬ mernden Frühe seines Lebens, Du, diese Gute, Reine und Zarte! O die erste Liebe des Men¬ schen, die Philomele unter den Frühlingslau¬ ten des Lebens, wird ohnehin immer, weil wir so irren, so hart vom Schicksale behandelt und immer getödtet und begraben; aber wenn nun einmal zwei gute Seelen im blüthenweißen Le¬ bens-Mai -- die süßen Frühlingsthränen im Busen tragend -- mit den glänzenden Knos¬ pen und Hoffnungen einer ganzen Jugend und mit der ersten unentweihten Sehnsucht und mit dem Erstlinge des Lebens wie des Jahres, mit dem Vergißmeinnicht der Liebe im Herzen -- wenn solche verwandte Wesen sich begegnen dürften und sich vertrauen und im Wonnemonat den Bund auf alle Wintermo¬ nate der Erdenzeit beschwören und wenn jedes Herz zum andern sagen könnte: Heil mir, daß ich dich fand in der heiligsten Lebenszeit, eh' ich geirret hatte; und daß ich sterben kann und habe niemand so geliebt als dich! --
O du heilige Seele, liebe meinen Jüng¬ ling! — Biſt du nicht die erſte Liebe dieſes Feuerherzens, der Morgenſtern in der däm¬ mernden Frühe ſeines Lebens, Du, dieſe Gute, Reine und Zarte! O die erſte Liebe des Men¬ ſchen, die Philomele unter den Frühlingslau¬ ten des Lebens, wird ohnehin immer, weil wir ſo irren, ſo hart vom Schickſale behandelt und immer getödtet und begraben; aber wenn nun einmal zwei gute Seelen im blüthenweißen Le¬ bens-Mai — die ſüßen Frühlingsthränen im Buſen tragend — mit den glänzenden Knos¬ pen und Hoffnungen einer ganzen Jugend und mit der erſten unentweihten Sehnſucht und mit dem Erſtlinge des Lebens wie des Jahres, mit dem Vergißmeinnicht der Liebe im Herzen — wenn ſolche verwandte Weſen ſich begegnen dürften und ſich vertrauen und im Wonnemonat den Bund auf alle Wintermo¬ nate der Erdenzeit beſchwören und wenn jedes Herz zum andern ſagen könnte: Heil mir, daß ich dich fand in der heiligſten Lebenszeit, eh' ich geirret hatte; und daß ich ſterben kann und habe niemand ſo geliebt als dich! —
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O du heilige Seele, liebe meinen Jüng¬
ling! — Biſt du nicht die erſte Liebe dieſes
Feuerherzens, der Morgenſtern in der däm¬
mernden Frühe ſeines Lebens, Du, dieſe Gute,
Reine und Zarte! O die erſte Liebe des Men¬
ſchen, die Philomele unter den Frühlingslau¬
ten des Lebens, wird ohnehin immer, weil wir
ſo irren, ſo hart vom Schickſale behandelt und
immer getödtet und begraben; aber wenn nun
einmal zwei gute Seelen im blüthenweißen Le¬
bens-Mai — die ſüßen Frühlingsthränen im
Buſen tragend — mit den glänzenden Knos¬
pen und Hoffnungen einer ganzen Jugend
und mit der erſten unentweihten Sehnſucht
und mit dem Erſtlinge des Lebens wie des
Jahres, mit dem Vergißmeinnicht der Liebe im
Herzen — wenn ſolche verwandte Weſen ſich
begegnen dürften und ſich vertrauen und im
Wonnemonat den Bund auf alle Wintermo¬
nate der Erdenzeit beſchwören und wenn jedes
Herz zum andern ſagen könnte: Heil mir, daß
ich dich fand in der heiligſten Lebenszeit, eh'
ich geirret hatte; und daß ich ſterben kann
und habe niemand ſo geliebt als dich! —
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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/459>, abgerufen am 22.11.2024.
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