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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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gegen das Grab des Herzens sagte: "nimm die¬
"ses Gesicht, wenn du keines hast, alter Mann,
"und blicke mich an hinter ihr!" so riß ihn
Albano auf -- die weiße Gestalt trat mit ge¬
bücktem Kopfe und gefalteten Händen in die
Zweige zurück -- der runde Thurm auf dem
Schlachtfelde schlug die Stunde aus und die
träumende Gegend schlug sie murmelnd nach.

"Komm an mein warmes Herz, du heftige
"Seele, -- o daß ich dich gerade an meinem
"Geburtstage in meiner Geburtsstunde erhal¬
"ten durfte!" -- Dieser Laut schmolz auf ein¬
mal den immer wechselnden Menschen und
er hieng sich mit nassen Freudeuaugen an
ihn und sagte: "-- und bis in unsre Sterbe¬
"stunden hinein! O sieh mich nicht an, du Un¬
"veränderlicher, weil ich so schwankend und ge¬
brochen erscheine -- in den Wogen des Lebens
"bricht sich und ringelt sich der Mensch wie
"der Stab im Wasser flattert, aber das Ich
"steht doch fest wie der Stab. -- Ich will dir
"folgen in andre Orte des Tartarus; aber er¬
"zähle auch die Geschichte."

Diese Geschichte geben, hieß ein Allerheilig¬

gegen das Grab des Herzens ſagte: „nimm die¬
„ſes Geſicht, wenn du keines haſt, alter Mann,
„und blicke mich an hinter ihr!“ ſo riß ihn
Albano auf — die weiße Geſtalt trat mit ge¬
bücktem Kopfe und gefalteten Händen in die
Zweige zurück — der runde Thurm auf dem
Schlachtfelde ſchlug die Stunde aus und die
träumende Gegend ſchlug ſie murmelnd nach.

„Komm an mein warmes Herz, du heftige
„Seele, — o daß ich dich gerade an meinem
„Geburtstage in meiner Geburtsſtunde erhal¬
„ten durfte!“ — Dieſer Laut ſchmolz auf ein¬
mal den immer wechſelnden Menſchen und
er hieng ſich mit naſſen Freudeuaugen an
ihn und ſagte: „— und bis in unſre Sterbe¬
„ſtunden hinein! O ſieh mich nicht an, du Un¬
„veränderlicher, weil ich ſo ſchwankend und ge¬
brochen erſcheine — in den Wogen des Lebens
„bricht ſich und ringelt ſich der Menſch wie
„der Stab im Waſſer flattert, aber das Ich
„ſteht doch feſt wie der Stab. — Ich will dir
„folgen in andre Orte des Tartarus; aber er¬
„zähle auch die Geſchichte.“

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[508/0528] gegen das Grab des Herzens ſagte: „nimm die¬ „ſes Geſicht, wenn du keines haſt, alter Mann, „und blicke mich an hinter ihr!“ ſo riß ihn Albano auf — die weiße Geſtalt trat mit ge¬ bücktem Kopfe und gefalteten Händen in die Zweige zurück — der runde Thurm auf dem Schlachtfelde ſchlug die Stunde aus und die träumende Gegend ſchlug ſie murmelnd nach. „Komm an mein warmes Herz, du heftige „Seele, — o daß ich dich gerade an meinem „Geburtstage in meiner Geburtsſtunde erhal¬ „ten durfte!“ — Dieſer Laut ſchmolz auf ein¬ mal den immer wechſelnden Menſchen und er hieng ſich mit naſſen Freudeuaugen an ihn und ſagte: „— und bis in unſre Sterbe¬ „ſtunden hinein! O ſieh mich nicht an, du Un¬ „veränderlicher, weil ich ſo ſchwankend und ge¬ brochen erſcheine — in den Wogen des Lebens „bricht ſich und ringelt ſich der Menſch wie „der Stab im Waſſer flattert, aber das Ich „ſteht doch feſt wie der Stab. — Ich will dir „folgen in andre Orte des Tartarus; aber er¬ „zähle auch die Geſchichte.“ Dieſe Geſchichte geben, hieß ein Allerheilig¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/528>, abgerufen am 23.11.2024.