Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

"gewesen." Allerdings war das auch dem
Grafen nicht erklärlich. Das Wunderbare ist
der Heiligenschein eines geliebten Hauptes; eine
Sonne zum Menschenantlitz besänftigt ergreift
weniger als ein geliebtes zum Sonnenbild
verklärt.

Sie immer heisser erfreuet durch seine Freu¬
de bot ihm an, ihn in Lianens Zimmer zu füh¬
ren. Ein einfaches Zimmerchen -- vom Wein¬
laube gründämmernd -- einige Bücher von
Fenelon und Herder -- alte Blumen noch in
ihren Wassergläsern -- kleine sinesische Tassen --
Juliennens Portrait und ein anderes von einer
verstorbenen Jugendfreundinn, welche Karoline
hies -- ein unbeflecktes Schreibzeug mit engli¬
schem gepreßten Papier -- -- das fand er.
Die heiligen Frühlingsstunden der Jungfrau
zogen vor ihm wie sonniges Gewölke thauend
vorüber.

Zufällig berührte er ein Federmesser, als
ihm Chariton Kiele zum Schneiden brachte,
"weil man, (sagte sie,) so viel Noth damit hätte
"seit ihr Herr weg sey." Denn eine Frau kann
leichter jede Feder führen -- sogar die epische

L 2

„geweſen.“ Allerdings war das auch dem
Grafen nicht erklärlich. Das Wunderbare iſt
der Heiligenſchein eines geliebten Hauptes; eine
Sonne zum Menſchenantlitz beſänftigt ergreift
weniger als ein geliebtes zum Sonnenbild
verklärt.

Sie immer heiſſer erfreuet durch ſeine Freu¬
de bot ihm an, ihn in Lianens Zimmer zu füh¬
ren. Ein einfaches Zimmerchen — vom Wein¬
laube gründämmernd — einige Bücher von
Fenelon und Herder — alte Blumen noch in
ihren Waſſergläſern — kleine ſineſiſche Taſſen —
Juliennens Portrait und ein anderes von einer
verſtorbenen Jugendfreundinn, welche Karoline
hies — ein unbeflecktes Schreibzeug mit engli¬
ſchem gepreßten Papier — — das fand er.
Die heiligen Frühlingsſtunden der Jungfrau
zogen vor ihm wie ſonniges Gewölke thauend
vorüber.

Zufällig berührte er ein Federmeſſer, als
ihm Chariton Kiele zum Schneiden brachte,
„weil man, (ſagte ſie,) ſo viel Noth damit hätte
„ſeit ihr Herr weg ſey.“ Denn eine Frau kann
leichter jede Feder führen — ſogar die epiſche

L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="163"/>
&#x201E;gewe&#x017F;en.&#x201C; Allerdings war das auch dem<lb/>
Grafen nicht erklärlich. Das Wunderbare i&#x017F;t<lb/>
der Heiligen&#x017F;chein eines geliebten Hauptes; eine<lb/>
Sonne zum Men&#x017F;chenantlitz be&#x017F;änftigt ergreift<lb/>
weniger als ein geliebtes zum Sonnenbild<lb/>
verklärt.</p><lb/>
          <p>Sie immer hei&#x017F;&#x017F;er erfreuet durch &#x017F;eine Freu¬<lb/>
de bot ihm an, ihn in Lianens Zimmer zu füh¬<lb/>
ren. Ein einfaches Zimmerchen &#x2014; vom Wein¬<lb/>
laube gründämmernd &#x2014; einige Bücher von<lb/>
Fenelon und Herder &#x2014; alte Blumen noch in<lb/>
ihren Wa&#x017F;&#x017F;erglä&#x017F;ern &#x2014; kleine &#x017F;ine&#x017F;i&#x017F;che Ta&#x017F;&#x017F;en &#x2014;<lb/>
Juliennens Portrait und ein anderes von einer<lb/>
ver&#x017F;torbenen Jugendfreundinn, welche Karoline<lb/>
hies &#x2014; ein unbeflecktes Schreibzeug mit engli¬<lb/>
&#x017F;chem gepreßten Papier &#x2014; &#x2014; das fand er.<lb/>
Die heiligen Frühlings&#x017F;tunden der Jungfrau<lb/>
zogen vor ihm wie &#x017F;onniges Gewölke thauend<lb/>
vorüber.</p><lb/>
          <p>Zufällig berührte er ein Federme&#x017F;&#x017F;er, als<lb/>
ihm Chariton Kiele zum Schneiden brachte,<lb/>
&#x201E;weil man, (&#x017F;agte &#x017F;ie,) &#x017F;o viel Noth damit hätte<lb/>
&#x201E;&#x017F;eit ihr Herr weg &#x017F;ey.&#x201C; Denn eine Frau kann<lb/>
leichter jede Feder führen &#x2014; &#x017F;ogar die epi&#x017F;che<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0171] „geweſen.“ Allerdings war das auch dem Grafen nicht erklärlich. Das Wunderbare iſt der Heiligenſchein eines geliebten Hauptes; eine Sonne zum Menſchenantlitz beſänftigt ergreift weniger als ein geliebtes zum Sonnenbild verklärt. Sie immer heiſſer erfreuet durch ſeine Freu¬ de bot ihm an, ihn in Lianens Zimmer zu füh¬ ren. Ein einfaches Zimmerchen — vom Wein¬ laube gründämmernd — einige Bücher von Fenelon und Herder — alte Blumen noch in ihren Waſſergläſern — kleine ſineſiſche Taſſen — Juliennens Portrait und ein anderes von einer verſtorbenen Jugendfreundinn, welche Karoline hies — ein unbeflecktes Schreibzeug mit engli¬ ſchem gepreßten Papier — — das fand er. Die heiligen Frühlingsſtunden der Jungfrau zogen vor ihm wie ſonniges Gewölke thauend vorüber. Zufällig berührte er ein Federmeſſer, als ihm Chariton Kiele zum Schneiden brachte, „weil man, (ſagte ſie,) ſo viel Noth damit hätte „ſeit ihr Herr weg ſey.“ Denn eine Frau kann leichter jede Feder führen — ſogar die epiſche L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/171
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/171>, abgerufen am 23.11.2024.