Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

ten, wenn er bald dachte, daß die Eltern wol
gar eine Verwandtschaft mit ihm ausschlagen,
da er doch mehr ihre vergessen als vergelten
zu müssen glaubte und daß sie zwei Herzen der
politischen Herzlosigkeit opfern könnten -- oder
wenn er auf die fromme Liane den Verdacht des
Weichens vor elterlichen Angriffen fallen ließ,
der noch aus der Vergangenheit Zufuhr durch
die Vermuthung erhielt, daß sie ihn wol mehr
poetisch und fromm und mehr mit Flügeln um¬
halset als mit Armen und daß sie überhaupt
an so lange Ergebungen gewöhnt, Opfer und
Neigungen kaum absondern und jene für diese
halten könne -- oder wenn er bald und am
öftersten alle diese Waffenspitzen gegen seine
eigne Brust kehrte und sich fragte, warum er
in der Freundschaft ein so festes Vertrauen
habe und in der Liebe ein so wankendes: Dann
führte ihn dieser Vorwurf zu einem zweiten über
jeden vorigen, den er der guten Seele gemacht,
bloß um sie nach der Proselytenmacherei und
Reformirsucht, welche die Männer mehr an
ihren Weibern als Freunden üben, für seine
eigne Gußform einzuschmelzen. Letzteres konnt'

ten, wenn er bald dachte, daß die Eltern wol
gar eine Verwandtſchaft mit ihm ausſchlagen,
da er doch mehr ihre vergeſſen als vergelten
zu müſſen glaubte und daß ſie zwei Herzen der
politiſchen Herzloſigkeit opfern könnten — oder
wenn er auf die fromme Liane den Verdacht des
Weichens vor elterlichen Angriffen fallen ließ,
der noch aus der Vergangenheit Zufuhr durch
die Vermuthung erhielt, daß ſie ihn wol mehr
poetiſch und fromm und mehr mit Flügeln um¬
halſet als mit Armen und daß ſie überhaupt
an ſo lange Ergebungen gewöhnt, Opfer und
Neigungen kaum abſondern und jene für dieſe
halten könne — oder wenn er bald und am
öfterſten alle dieſe Waffenſpitzen gegen ſeine
eigne Bruſt kehrte und ſich fragte, warum er
in der Freundſchaft ein ſo feſtes Vertrauen
habe und in der Liebe ein ſo wankendes: Dann
führte ihn dieſer Vorwurf zu einem zweiten über
jeden vorigen, den er der guten Seele gemacht,
bloß um ſie nach der Proſelytenmacherei und
Reformirſucht, welche die Männer mehr an
ihren Weibern als Freunden üben, für ſeine
eigne Gußform einzuſchmelzen. Letzteres konnt'

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0101" n="89"/>
ten, wenn er bald dachte, daß die Eltern wol<lb/>
gar eine Verwandt&#x017F;chaft mit ihm aus&#x017F;chlagen,<lb/>
da er doch mehr ihre verge&#x017F;&#x017F;en als vergelten<lb/>
zu mü&#x017F;&#x017F;en glaubte und daß &#x017F;ie zwei Herzen der<lb/>
politi&#x017F;chen Herzlo&#x017F;igkeit opfern könnten &#x2014; oder<lb/>
wenn er auf die fromme Liane den Verdacht des<lb/>
Weichens vor elterlichen Angriffen fallen ließ,<lb/>
der noch aus der Vergangenheit Zufuhr durch<lb/>
die Vermuthung erhielt, daß &#x017F;ie ihn wol mehr<lb/>
poeti&#x017F;ch und fromm und mehr mit Flügeln um¬<lb/>
hal&#x017F;et als mit Armen und daß &#x017F;ie überhaupt<lb/>
an &#x017F;o lange Ergebungen gewöhnt, Opfer und<lb/>
Neigungen kaum ab&#x017F;ondern und jene für die&#x017F;e<lb/>
halten könne &#x2014; oder wenn er bald und am<lb/>
öfter&#x017F;ten alle die&#x017F;e Waffen&#x017F;pitzen gegen &#x017F;eine<lb/>
eigne Bru&#x017F;t kehrte und &#x017F;ich fragte, warum er<lb/>
in der Freund&#x017F;chaft ein &#x017F;o fe&#x017F;tes Vertrauen<lb/>
habe und in der Liebe ein &#x017F;o wankendes: Dann<lb/>
führte ihn die&#x017F;er Vorwurf zu einem zweiten über<lb/>
jeden vorigen, den er der guten Seele gemacht,<lb/>
bloß um &#x017F;ie nach der Pro&#x017F;elytenmacherei und<lb/>
Reformir&#x017F;ucht, welche die Männer mehr an<lb/>
ihren Weibern als Freunden üben, für &#x017F;eine<lb/>
eigne Gußform einzu&#x017F;chmelzen. Letzteres konnt'<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0101] ten, wenn er bald dachte, daß die Eltern wol gar eine Verwandtſchaft mit ihm ausſchlagen, da er doch mehr ihre vergeſſen als vergelten zu müſſen glaubte und daß ſie zwei Herzen der politiſchen Herzloſigkeit opfern könnten — oder wenn er auf die fromme Liane den Verdacht des Weichens vor elterlichen Angriffen fallen ließ, der noch aus der Vergangenheit Zufuhr durch die Vermuthung erhielt, daß ſie ihn wol mehr poetiſch und fromm und mehr mit Flügeln um¬ halſet als mit Armen und daß ſie überhaupt an ſo lange Ergebungen gewöhnt, Opfer und Neigungen kaum abſondern und jene für dieſe halten könne — oder wenn er bald und am öfterſten alle dieſe Waffenſpitzen gegen ſeine eigne Bruſt kehrte und ſich fragte, warum er in der Freundſchaft ein ſo feſtes Vertrauen habe und in der Liebe ein ſo wankendes: Dann führte ihn dieſer Vorwurf zu einem zweiten über jeden vorigen, den er der guten Seele gemacht, bloß um ſie nach der Proſelytenmacherei und Reformirſucht, welche die Männer mehr an ihren Weibern als Freunden üben, für ſeine eigne Gußform einzuſchmelzen. Letzteres konnt'

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/101
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/101>, abgerufen am 28.11.2024.