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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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ihr des Ministers schwarzen Verlobungsplan mit
dem deutschen Herrn, ihre bisherigen verschwiege¬
nen Kriege und Seufzer darüber, ihren bisher zu¬
rückdrängenden Widerstand und die neueste väter¬
liche Kriegslist, sie zur Festungsgefangnen bei sei¬
nem Bruder zu machen und dadurch wahrschein¬
lich den H. von Bouverot zum Festungsbelage¬
rer. -- --

Für einige Leser und Relikten aus dem
schwerfälligen, goldnen Zeitalter der Moral
wird hier die Anmerkung gesetzt und gedruckt:
daß eine besondere kalte, nichts schonende, oft
grausame und empörende Offenherzigkeit über
die nächsten Verwandten und über die zartesten
Verhältnisse in den höhern Ständen so sehr zu
Hause ist, daß auch die schönern Seelen --
worunter doch diese Mutter gehört -- es gar
nicht anders wissen und machen.

"O, Du beste Mutter!" rief Liane erschüt¬
tert, aber nicht vom Gedanken an die Klapper
und den Schlangenathem Bouverots oder an
dessen Mordsprung nach ihrem Herzen -- sie
dachte so kaltblütig an sein Verloben wie je¬
der Unschuldige an sein Sterben auf einem

ihr des Miniſters ſchwarzen Verlobungsplan mit
dem deutſchen Herrn, ihre bisherigen verſchwiege¬
nen Kriege und Seufzer darüber, ihren bisher zu¬
rückdrängenden Widerſtand und die neueſte väter¬
liche Kriegsliſt, ſie zur Feſtungsgefangnen bei ſei¬
nem Bruder zu machen und dadurch wahrſchein¬
lich den H. von Bouverot zum Feſtungsbelage¬
rer. — —

Für einige Leſer und Relikten aus dem
ſchwerfälligen, goldnen Zeitalter der Moral
wird hier die Anmerkung geſetzt und gedruckt:
daß eine beſondere kalte, nichts ſchonende, oft
grauſame und empörende Offenherzigkeit über
die nächſten Verwandten und über die zarteſten
Verhältniſſe in den höhern Ständen ſo ſehr zu
Hauſe iſt, daß auch die ſchönern Seelen —
worunter doch dieſe Mutter gehört — es gar
nicht anders wiſſen und machen.

„O, Du beſte Mutter!“ rief Liane erſchüt¬
tert, aber nicht vom Gedanken an die Klapper
und den Schlangenathem Bouverots oder an
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dachte ſo kaltblütig an ſein Verloben wie je¬
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[122/0134] ihr des Miniſters ſchwarzen Verlobungsplan mit dem deutſchen Herrn, ihre bisherigen verſchwiege¬ nen Kriege und Seufzer darüber, ihren bisher zu¬ rückdrängenden Widerſtand und die neueſte väter¬ liche Kriegsliſt, ſie zur Feſtungsgefangnen bei ſei¬ nem Bruder zu machen und dadurch wahrſchein¬ lich den H. von Bouverot zum Feſtungsbelage¬ rer. — — Für einige Leſer und Relikten aus dem ſchwerfälligen, goldnen Zeitalter der Moral wird hier die Anmerkung geſetzt und gedruckt: daß eine beſondere kalte, nichts ſchonende, oft grauſame und empörende Offenherzigkeit über die nächſten Verwandten und über die zarteſten Verhältniſſe in den höhern Ständen ſo ſehr zu Hauſe iſt, daß auch die ſchönern Seelen — worunter doch dieſe Mutter gehört — es gar nicht anders wiſſen und machen. „O, Du beſte Mutter!“ rief Liane erſchüt¬ tert, aber nicht vom Gedanken an die Klapper und den Schlangenathem Bouverots oder an deſſen Mordſprung nach ihrem Herzen — ſie dachte ſo kaltblütig an ſein Verloben wie je¬ der Unſchuldige an ſein Sterben auf einem

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/134>, abgerufen am 25.11.2024.