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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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wurde. In solchen Menschen sind Wort und
That dem theatralischen Donner und Blitze
ähnlich, welche beide, sonst im Himmel gleich¬
zeitig verbunden, auf der Bühne aus getrenn¬
ten Ecken und durch verschiedne Arbeiter her¬
vorbrechen. Aber Liane ruhte nicht eher als
bis er ein wortfestes, offnes Gesicht -- ein ge¬
maltes Fenster -- aufgetragen. Darauf fieng sie
nach einem Faustkuß ihre Geistergeschichte an.

Mit fortgesetztem Ernst, fest zusammenge¬
haltenen Muskeln hörte er dem Unerhörten zu;
dann nahm er sie, ohne ein Wort zu sagen,
an der Hand, und führte sie vor die Mutter
zurück, der er sie mit einem langen Lob- und
Dankpsalm auf ihre glückliche Töchterschule
überreichte; -- "seine Knabenschule mit Karl
sey ihm wenigstens nicht in diesem Grade ge¬
glückt" setzt' er hinzu. Zum Beweise theilt' er
ihr offenherzig -- und alle Schmerzen Lianens
kaltblütig verarbeitend, wie der Faßbinder Zy¬
pressenzweige zu Tonnenreifen -- das Wenige
mit, was er zu verschweigen verheissen, weil
er immer entweder sich wegwarf, oder den an¬
dern, meistens beide. Liane saß hochroth, hei߬

wurde. In ſolchen Menſchen ſind Wort und
That dem theatraliſchen Donner und Blitze
ähnlich, welche beide, ſonſt im Himmel gleich¬
zeitig verbunden, auf der Bühne aus getrenn¬
ten Ecken und durch verſchiedne Arbeiter her¬
vorbrechen. Aber Liane ruhte nicht eher als
bis er ein wortfeſtes, offnes Geſicht — ein ge¬
maltes Fenſter — aufgetragen. Darauf fieng ſie
nach einem Fauſtkuß ihre Geiſtergeſchichte an.

Mit fortgeſetztem Ernſt, feſt zuſammenge¬
haltenen Muſkeln hörte er dem Unerhörten zu;
dann nahm er ſie, ohne ein Wort zu ſagen,
an der Hand, und führte ſie vor die Mutter
zurück, der er ſie mit einem langen Lob- und
Dankpſalm auf ihre glückliche Töchterſchule
überreichte; — „ſeine Knabenſchule mit Karl
ſey ihm wenigſtens nicht in dieſem Grade ge¬
glückt“ ſetzt' er hinzu. Zum Beweiſe theilt' er
ihr offenherzig — und alle Schmerzen Lianens
kaltblütig verarbeitend, wie der Faßbinder Zy¬
preſſenzweige zu Tonnenreifen — das Wenige
mit, was er zu verſchweigen verheiſſen, weil
er immer entweder ſich wegwarf, oder den an¬
dern, meiſtens beide. Liane ſaß hochroth, hei߬

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[126/0138] wurde. In ſolchen Menſchen ſind Wort und That dem theatraliſchen Donner und Blitze ähnlich, welche beide, ſonſt im Himmel gleich¬ zeitig verbunden, auf der Bühne aus getrenn¬ ten Ecken und durch verſchiedne Arbeiter her¬ vorbrechen. Aber Liane ruhte nicht eher als bis er ein wortfeſtes, offnes Geſicht — ein ge¬ maltes Fenſter — aufgetragen. Darauf fieng ſie nach einem Fauſtkuß ihre Geiſtergeſchichte an. Mit fortgeſetztem Ernſt, feſt zuſammenge¬ haltenen Muſkeln hörte er dem Unerhörten zu; dann nahm er ſie, ohne ein Wort zu ſagen, an der Hand, und führte ſie vor die Mutter zurück, der er ſie mit einem langen Lob- und Dankpſalm auf ihre glückliche Töchterſchule überreichte; — „ſeine Knabenſchule mit Karl ſey ihm wenigſtens nicht in dieſem Grade ge¬ glückt“ ſetzt' er hinzu. Zum Beweiſe theilt' er ihr offenherzig — und alle Schmerzen Lianens kaltblütig verarbeitend, wie der Faßbinder Zy¬ preſſenzweige zu Tonnenreifen — das Wenige mit, was er zu verſchweigen verheiſſen, weil er immer entweder ſich wegwarf, oder den an¬ dern, meiſtens beide. Liane ſaß hochroth, hei߬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/138>, abgerufen am 25.11.2024.