Prinzessin selber, die ihre bisherige Entfernung von ihr mit den zerstreuenden Zurüstungen zum Feste entschuldigte, und die ganz fremd auf ein¬ mal über Liebe und Männer spottete -- alle diese Menschen und Zufälle konnten nur einer Liane, die so wenig errieth, so viel litt und so gern ertrug, nicht die unerträglichsten scheinen.
Ach, was war unerträglich als die eiserne Unveränderlichkeit dieser Verhältnisse, die Fe¬ stigkeit eines solchen ewigen Bergschnees? Nicht die Größe, sondern die Unbestimmtheit des Schmerzes, nicht der Minotaurus des Laby¬ rinths, der Kellerfrost, die Eckfelsen und Gru¬ ben desselben ziehen uns darin die Brust zu¬ sammen, sondern die lange Nacht und Win¬ dung seines Ausgangs. Sogar unter den Körper-Krankheiten kommen uns daher unge¬ wohnte neue, deren letzter Augenblick über un¬ sere Weissagung hinausliegt, drohender und schwerer vor als wiederkehrende, die als nach¬ barliche Gränzfeinde uns immer anfallen und in der Rüstung finden.
So stand die stumme Liane im Gewölk, als die frohlockende Rabette mit der Brust voll
Prinzeſſin ſelber, die ihre bisherige Entfernung von ihr mit den zerſtreuenden Zurüſtungen zum Feſte entſchuldigte, und die ganz fremd auf ein¬ mal über Liebe und Männer ſpottete — alle dieſe Menſchen und Zufälle konnten nur einer Liane, die ſo wenig errieth, ſo viel litt und ſo gern ertrug, nicht die unerträglichſten ſcheinen.
Ach, was war unerträglich als die eiſerne Unveränderlichkeit dieſer Verhältniſſe, die Fe¬ ſtigkeit eines ſolchen ewigen Bergſchnees? Nicht die Größe, ſondern die Unbeſtimmtheit des Schmerzes, nicht der Minotaurus des Laby¬ rinths, der Kellerfroſt, die Eckfelſen und Gru¬ ben deſſelben ziehen uns darin die Bruſt zu¬ ſammen, ſondern die lange Nacht und Win¬ dung ſeines Ausgangs. Sogar unter den Körper-Krankheiten kommen uns daher unge¬ wohnte neue, deren letzter Augenblick über un¬ ſere Weiſſagung hinausliegt, drohender und ſchwerer vor als wiederkehrende, die als nach¬ barliche Gränzfeinde uns immer anfallen und in der Rüſtung finden.
So ſtand die ſtumme Liane im Gewölk, als die frohlockende Rabette mit der Bruſt voll
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Prinzeſſin ſelber, die ihre bisherige Entfernung
von ihr mit den zerſtreuenden Zurüſtungen zum
Feſte entſchuldigte, und die ganz fremd auf ein¬
mal über Liebe und Männer ſpottete — alle
dieſe Menſchen und Zufälle konnten nur einer
Liane, die ſo wenig errieth, ſo viel litt und ſo
gern ertrug, nicht die unerträglichſten ſcheinen.
Ach, was war unerträglich als die eiſerne
Unveränderlichkeit dieſer Verhältniſſe, die Fe¬
ſtigkeit eines ſolchen ewigen Bergſchnees? Nicht
die Größe, ſondern die Unbeſtimmtheit des
Schmerzes, nicht der Minotaurus des Laby¬
rinths, der Kellerfroſt, die Eckfelſen und Gru¬
ben deſſelben ziehen uns darin die Bruſt zu¬
ſammen, ſondern die lange Nacht und Win¬
dung ſeines Ausgangs. Sogar unter den
Körper-Krankheiten kommen uns daher unge¬
wohnte neue, deren letzter Augenblick über un¬
ſere Weiſſagung hinausliegt, drohender und
ſchwerer vor als wiederkehrende, die als nach¬
barliche Gränzfeinde uns immer anfallen und
in der Rüſtung finden.
So ſtand die ſtumme Liane im Gewölk,
als die frohlockende Rabette mit der Bruſt voll
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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/149>, abgerufen am 24.11.2024.
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