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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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weil er auf das Alles bei dem Andern unerbitt¬
lich drang. Mit den reichlichen Brennnesseln
der Persiflage -- auch botanische kommen in kal¬
tem und steinigem Boden am besten fort --
überdeckte er alle seine auf- und zugehenden Hum¬
merscheeren, wie wir Bachkrebse in Nesseln fassen,
und nahm zuerst sein weiches Kind zwischen
die Scheeren. Das sanfte, ergebene Lächeln
desselben nahm er für Verachtung und Bosheit
-- -- Wie kommt diese Sanfte erklärlicher
Weise zu seinem Vaternamen, wenn man nicht
die alte Hypothese annimmt, daß Kinder ge¬
wohnlich dem am ähnlichsten werden, wornach
sich die schwangere Mutter vergeblich sehnte,
welches hier ein sanfter Gatte war? -- Dann
griff er, aber heftiger die Mutter an, um bei
seinem Mißtrauen sie mit der Tochter zu ent¬
zweien, ja um vielleicht diese durch die mütter¬
lichen Leiden zu kindlichen Opfern und Ent¬
schlüssen zu peinigen. Ganz frei erklärt' er
sich -- denn der Egoist trifft die meisten Ego¬
isten an, wie die Liebe und Liane nur Liebe
und keine Selbstliebe -- gegen den Egoismus
um und neben sich und verbarg es nicht, wie

weil er auf das Alles bei dem Andern unerbitt¬
lich drang. Mit den reichlichen Brennneſſeln
der Perſiflage — auch botaniſche kommen in kal¬
tem und ſteinigem Boden am beſten fort —
überdeckte er alle ſeine auf- und zugehenden Hum¬
merſcheeren, wie wir Bachkrebſe in Neſſeln faſſen,
und nahm zuerſt ſein weiches Kind zwiſchen
die Scheeren. Das ſanfte, ergebene Lächeln
deſſelben nahm er für Verachtung und Bosheit
— — Wie kommt dieſe Sanfte erklärlicher
Weiſe zu ſeinem Vaternamen, wenn man nicht
die alte Hypotheſe annimmt, daß Kinder ge¬
wohnlich dem am ähnlichſten werden, wornach
ſich die ſchwangere Mutter vergeblich ſehnte,
welches hier ein ſanfter Gatte war? — Dann
griff er, aber heftiger die Mutter an, um bei
ſeinem Mißtrauen ſie mit der Tochter zu ent¬
zweien, ja um vielleicht dieſe durch die mütter¬
lichen Leiden zu kindlichen Opfern und Ent¬
ſchlüſſen zu peinigen. Ganz frei erklärt' er
ſich — denn der Egoiſt trifft die meiſten Ego¬
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und keine Selbſtliebe — gegen den Egoiſmus
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[140/0152] weil er auf das Alles bei dem Andern unerbitt¬ lich drang. Mit den reichlichen Brennneſſeln der Perſiflage — auch botaniſche kommen in kal¬ tem und ſteinigem Boden am beſten fort — überdeckte er alle ſeine auf- und zugehenden Hum¬ merſcheeren, wie wir Bachkrebſe in Neſſeln faſſen, und nahm zuerſt ſein weiches Kind zwiſchen die Scheeren. Das ſanfte, ergebene Lächeln deſſelben nahm er für Verachtung und Bosheit — — Wie kommt dieſe Sanfte erklärlicher Weiſe zu ſeinem Vaternamen, wenn man nicht die alte Hypotheſe annimmt, daß Kinder ge¬ wohnlich dem am ähnlichſten werden, wornach ſich die ſchwangere Mutter vergeblich ſehnte, welches hier ein ſanfter Gatte war? — Dann griff er, aber heftiger die Mutter an, um bei ſeinem Mißtrauen ſie mit der Tochter zu ent¬ zweien, ja um vielleicht dieſe durch die mütter¬ lichen Leiden zu kindlichen Opfern und Ent¬ ſchlüſſen zu peinigen. Ganz frei erklärt' er ſich — denn der Egoiſt trifft die meiſten Ego¬ iſten an, wie die Liebe und Liane nur Liebe und keine Selbſtliebe — gegen den Egoiſmus um und neben ſich und verbarg es nicht, wie

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/152>, abgerufen am 27.06.2024.