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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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seines Himmels der schon über sein kindisches
Herz und über die Blumenbühler Pfade ge¬
leuchtet, herausriß. Der blühende, hüpfende
Genius seiner Vergangenheit schlich ungesehen,
den Freudenkranz bloß in der Hand, hinter ihm
weg, indeß er mit dem vor ihm gehenden
schwarzen Engel der Zukunft kämpfte, der ihm
nachschleppte durch brausende Waldungen --
durch schläfrige Dörfer -- durch nasse, trie¬
fende Thäler. -- Endlich sah Albano gen Him¬
mel unter die ewigen, unzähligen Sterne, zu
dem hängenden Blüthen-Garten Gottes: "ich
schäme mich vor Euch nicht, sagt' er, weil ich
auf dieser Kugel weine und gepresset bin vor
Eurer Unermeßlichkeit -- droben steht Ihr alle
weit auseinander -- und auf allen großen Welten
hat jeder arme Geist doch nur eine kleine Stel¬
le unter seinen Füßen, wo er glücklich oder
elend wird. -- Ist nur diese Nacht vorbei und
ich ins Bette: morgen bin ich gewiß ein Mann
und fest!"

Plötzlich hört' er mehrmals einen fast er¬
bitterten Klage-Schrei. Endlich erblickt' er ne¬
ben einem Flusse ausgestreckte weiße Ärmel oder

ſeines Himmels der ſchon über ſein kindiſches
Herz und über die Blumenbühler Pfade ge¬
leuchtet, herausriß. Der blühende, hüpfende
Genius ſeiner Vergangenheit ſchlich ungeſehen,
den Freudenkranz bloß in der Hand, hinter ihm
weg, indeß er mit dem vor ihm gehenden
ſchwarzen Engel der Zukunft kämpfte, der ihm
nachſchleppte durch brauſende Waldungen —
durch ſchläfrige Dörfer — durch naſſe, trie¬
fende Thäler. — Endlich ſah Albano gen Him¬
mel unter die ewigen, unzähligen Sterne, zu
dem hängenden Blüthen-Garten Gottes: „ich
ſchäme mich vor Euch nicht, ſagt' er, weil ich
auf dieſer Kugel weine und gepreſſet bin vor
Eurer Unermeßlichkeit — droben ſteht Ihr alle
weit auseinander — und auf allen großen Welten
hat jeder arme Geiſt doch nur eine kleine Stel¬
le unter ſeinen Füßen, wo er glücklich oder
elend wird. — Iſt nur dieſe Nacht vorbei und
ich ins Bette: morgen bin ich gewiß ein Mann
und feſt!“

Plötzlich hört' er mehrmals einen faſt er¬
bitterten Klage-Schrei. Endlich erblickt' er ne¬
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[182/0194] ſeines Himmels der ſchon über ſein kindiſches Herz und über die Blumenbühler Pfade ge¬ leuchtet, herausriß. Der blühende, hüpfende Genius ſeiner Vergangenheit ſchlich ungeſehen, den Freudenkranz bloß in der Hand, hinter ihm weg, indeß er mit dem vor ihm gehenden ſchwarzen Engel der Zukunft kämpfte, der ihm nachſchleppte durch brauſende Waldungen — durch ſchläfrige Dörfer — durch naſſe, trie¬ fende Thäler. — Endlich ſah Albano gen Him¬ mel unter die ewigen, unzähligen Sterne, zu dem hängenden Blüthen-Garten Gottes: „ich ſchäme mich vor Euch nicht, ſagt' er, weil ich auf dieſer Kugel weine und gepreſſet bin vor Eurer Unermeßlichkeit — droben ſteht Ihr alle weit auseinander — und auf allen großen Welten hat jeder arme Geiſt doch nur eine kleine Stel¬ le unter ſeinen Füßen, wo er glücklich oder elend wird. — Iſt nur dieſe Nacht vorbei und ich ins Bette: morgen bin ich gewiß ein Mann und feſt!“ Plötzlich hört' er mehrmals einen faſt er¬ bitterten Klage-Schrei. Endlich erblickt' er ne¬ ben einem Fluſſe ausgeſtreckte weiße Ärmel oder

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/194>, abgerufen am 27.06.2024.