Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

"sah er mich bittend und richtend an! -- O,
"hätt' ich Dein schönes Haupt halten dürfen da
"Du es schwer an die rauhe Fichten-Rinde
"lehntest!" -- Was sie in der schweren Mit¬
ternacht am wehmüthigsten gemacht, war sein
stummes Verschwinden gewesen; wie oft hatte
sie nach seinem aussen mit Lampen erleuchte¬
ten Donnerhäuschen hinaufgesehen, wo innen
nur Finsterniß am Fenster lag! Jetzt fühlte
sie wie nah' er ihrer Seele wohne; und sie
weinte den ganzen Morgen über die Nacht und
der Strahl der Liebe stach sie immer heißer, so
wie Brennspiegel die Sonne stärker vor uns
legen wenn sie gerade nach Regen niederblickt.
Die Mutter wurd' ihr heute für das opfernde
worthaltende Gestern durch zurückkommende, ver¬
trauende Liebe dankbar; -- obwohl der Vater
mit Nichts; da man bei ihm so wenig wie bei den
ältern Lutheranern durch gute Werke seelig wurde,
sondern nur durch den Mangel derselben ver¬
dammt -- aber eben jetzt, wo die Eltern aus
der Nacht die neuesten Hoffnungen der Entsa¬
gung geschöpfet hatten, konnte die Tochter kei¬
ner einzigen schmeicheln.

Wie

„ſah er mich bittend und richtend an! — O,
„hätt' ich Dein ſchönes Haupt halten dürfen da
„Du es ſchwer an die rauhe Fichten-Rinde
„lehnteſt!“ — Was ſie in der ſchweren Mit¬
ternacht am wehmüthigſten gemacht, war ſein
ſtummes Verſchwinden geweſen; wie oft hatte
ſie nach ſeinem auſſen mit Lampen erleuchte¬
ten Donnerhäuschen hinaufgeſehen, wo innen
nur Finſterniß am Fenſter lag! Jetzt fühlte
ſie wie nah' er ihrer Seele wohne; und ſie
weinte den ganzen Morgen über die Nacht und
der Strahl der Liebe ſtach ſie immer heißer, ſo
wie Brennſpiegel die Sonne ſtärker vor uns
legen wenn ſie gerade nach Regen niederblickt.
Die Mutter wurd' ihr heute für das opfernde
worthaltende Geſtern durch zurückkommende, ver¬
trauende Liebe dankbar; — obwohl der Vater
mit Nichts; da man bei ihm ſo wenig wie bei den
ältern Lutheranern durch gute Werke ſeelig wurde,
ſondern nur durch den Mangel derſelben ver¬
dammt — aber eben jetzt, wo die Eltern aus
der Nacht die neueſten Hoffnungen der Entſa¬
gung geſchöpfet hatten, konnte die Tochter kei¬
ner einzigen ſchmeicheln.

Wie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0204" n="192"/>
&#x201E;&#x017F;ah er mich bittend und richtend an! &#x2014; O,<lb/>
&#x201E;hätt' ich Dein &#x017F;chönes Haupt halten dürfen da<lb/>
&#x201E;Du es &#x017F;chwer an die rauhe Fichten-Rinde<lb/>
&#x201E;lehnte&#x017F;t!&#x201C; &#x2014; Was &#x017F;ie in der &#x017F;chweren Mit¬<lb/>
ternacht am wehmüthig&#x017F;ten gemacht, war &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;tummes Ver&#x017F;chwinden gewe&#x017F;en; wie oft hatte<lb/>
&#x017F;ie nach &#x017F;einem au&#x017F;&#x017F;en mit Lampen erleuchte¬<lb/>
ten Donnerhäuschen hinaufge&#x017F;ehen, wo innen<lb/>
nur Fin&#x017F;terniß am Fen&#x017F;ter lag! Jetzt fühlte<lb/>
&#x017F;ie wie nah' er ihrer Seele wohne; und &#x017F;ie<lb/>
weinte den ganzen Morgen über die Nacht und<lb/>
der Strahl der Liebe &#x017F;tach &#x017F;ie immer heißer, &#x017F;o<lb/>
wie Brenn&#x017F;piegel die Sonne &#x017F;tärker vor uns<lb/>
legen wenn &#x017F;ie gerade nach Regen niederblickt.<lb/>
Die Mutter wurd' ihr heute für das opfernde<lb/>
worthaltende Ge&#x017F;tern durch zurückkommende, ver¬<lb/>
trauende Liebe dankbar; &#x2014; obwohl der Vater<lb/>
mit Nichts; da man bei ihm &#x017F;o wenig wie bei den<lb/>
ältern Lutheranern durch gute Werke &#x017F;eelig wurde,<lb/>
&#x017F;ondern nur durch den Mangel der&#x017F;elben ver¬<lb/>
dammt &#x2014; aber eben jetzt, wo die Eltern aus<lb/>
der Nacht die neue&#x017F;ten Hoffnungen der Ent&#x017F;<lb/>
gung ge&#x017F;chöpfet hatten, konnte die Tochter kei¬<lb/>
ner einzigen &#x017F;chmeicheln.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Wie<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0204] „ſah er mich bittend und richtend an! — O, „hätt' ich Dein ſchönes Haupt halten dürfen da „Du es ſchwer an die rauhe Fichten-Rinde „lehnteſt!“ — Was ſie in der ſchweren Mit¬ ternacht am wehmüthigſten gemacht, war ſein ſtummes Verſchwinden geweſen; wie oft hatte ſie nach ſeinem auſſen mit Lampen erleuchte¬ ten Donnerhäuschen hinaufgeſehen, wo innen nur Finſterniß am Fenſter lag! Jetzt fühlte ſie wie nah' er ihrer Seele wohne; und ſie weinte den ganzen Morgen über die Nacht und der Strahl der Liebe ſtach ſie immer heißer, ſo wie Brennſpiegel die Sonne ſtärker vor uns legen wenn ſie gerade nach Regen niederblickt. Die Mutter wurd' ihr heute für das opfernde worthaltende Geſtern durch zurückkommende, ver¬ trauende Liebe dankbar; — obwohl der Vater mit Nichts; da man bei ihm ſo wenig wie bei den ältern Lutheranern durch gute Werke ſeelig wurde, ſondern nur durch den Mangel derſelben ver¬ dammt — aber eben jetzt, wo die Eltern aus der Nacht die neueſten Hoffnungen der Entſa¬ gung geſchöpfet hatten, konnte die Tochter kei¬ ner einzigen ſchmeicheln. Wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/204
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/204>, abgerufen am 23.11.2024.