Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

"Sie mir ohnehin leider die Kränklichkeit des
"schönen Wesens klagen? Im Spätherbste seh'
"ich ihn. Seine kräftige, brave Natur wird
"wohl zu entrathen wissen. Versichern Sie das
"Froulaysche Haus meiner besten Gesinnun¬
"gen." G. d. C.

Der Lektor hätte gern dieses Papier in die
Papiermühle geworfen, da so wenig daran
"ostensible" war. Zwar Gaspards mörderisch
geschliffne Ironie über Lianens Kränklichkeit
blieb, wenn er ihr das Schreiben zeigte, für die¬
se arglose Friedensfürstin in der Scheide; --
auch der Nordwind des Egoismus, der das Blatt
durchstach, wurde von der Liebenden, da er
doch für Albano's frohe Lebensfahrt ein gün¬
stiger Seitenwind war, nicht gefühlt oder ge¬
achtet; -- aber eben darum; denn sie konnte
Gaspards verdecktes Nein für ein Ja ansehen
und sich gerade in das Seil tödtlich verwirren,
woran der Freund sie aus ihrem steilen Abgrund
ziehen wollen.

Indeß der Brief mußte übergeben werden
-- aber er thats mit langen, scheuen Weigerun¬
gen, die ihr gleichsam den Schleier von dem

„Sie mir ohnehin leider die Kränklichkeit des
„ſchönen Weſens klagen? Im Spätherbſte ſeh'
„ich ihn. Seine kräftige, brave Natur wird
„wohl zu entrathen wiſſen. Verſichern Sie das
„Froulayſche Haus meiner beſten Geſinnun¬
„gen.“ G. d. C.

Der Lektor hätte gern dieſes Papier in die
Papiermühle geworfen, da ſo wenig daran
„oſtenſible“ war. Zwar Gaſpards mörderiſch
geſchliffne Ironie über Lianens Kränklichkeit
blieb, wenn er ihr das Schreiben zeigte, für die¬
ſe argloſe Friedensfürſtin in der Scheide; —
auch der Nordwind des Egoismus, der das Blatt
durchſtach, wurde von der Liebenden, da er
doch für Albano's frohe Lebensfahrt ein gün¬
ſtiger Seitenwind war, nicht gefühlt oder ge¬
achtet; — aber eben darum; denn ſie konnte
Gaſpards verdecktes Nein für ein Ja anſehen
und ſich gerade in das Seil tödtlich verwirren,
woran der Freund ſie aus ihrem ſteilen Abgrund
ziehen wollen.

Indeß der Brief mußte übergeben werden
— aber er thats mit langen, ſcheuen Weigerun¬
gen, die ihr gleichſam den Schleier von dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="194"/>
&#x201E;Sie mir ohnehin leider die Kränklichkeit des<lb/>
&#x201E;&#x017F;chönen We&#x017F;ens klagen? Im Spätherb&#x017F;te &#x017F;eh'<lb/>
&#x201E;ich ihn. Seine kräftige, brave Natur wird<lb/>
&#x201E;wohl zu entrathen wi&#x017F;&#x017F;en. Ver&#x017F;ichern Sie das<lb/>
&#x201E;Froulay&#x017F;che Haus meiner be&#x017F;ten Ge&#x017F;innun¬<lb/>
&#x201E;gen.&#x201C; G. d. C.</p><lb/>
          <p>Der Lektor hätte gern die&#x017F;es Papier in die<lb/>
Papiermühle geworfen, da &#x017F;o wenig daran<lb/>
&#x201E;o&#x017F;ten&#x017F;ible&#x201C; war. Zwar Ga&#x017F;pards mörderi&#x017F;ch<lb/>
ge&#x017F;chliffne Ironie über Lianens Kränklichkeit<lb/>
blieb, wenn er ihr das Schreiben zeigte, für die¬<lb/>
&#x017F;e arglo&#x017F;e Friedensfür&#x017F;tin in der Scheide; &#x2014;<lb/>
auch der Nordwind des Egoismus, der das Blatt<lb/>
durch&#x017F;tach, wurde von der Liebenden, da er<lb/>
doch für Albano's frohe Lebensfahrt ein gün¬<lb/>
&#x017F;tiger Seitenwind war, nicht gefühlt oder ge¬<lb/>
achtet; &#x2014; aber eben darum; denn &#x017F;ie konnte<lb/>
Ga&#x017F;pards verdecktes Nein für ein Ja an&#x017F;ehen<lb/>
und &#x017F;ich gerade in das Seil tödtlich verwirren,<lb/>
woran der Freund &#x017F;ie aus ihrem &#x017F;teilen Abgrund<lb/>
ziehen wollen.</p><lb/>
          <p>Indeß der Brief mußte übergeben werden<lb/>
&#x2014; aber er thats mit langen, &#x017F;cheuen Weigerun¬<lb/>
gen, die ihr gleich&#x017F;am den Schleier von dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0206] „Sie mir ohnehin leider die Kränklichkeit des „ſchönen Weſens klagen? Im Spätherbſte ſeh' „ich ihn. Seine kräftige, brave Natur wird „wohl zu entrathen wiſſen. Verſichern Sie das „Froulayſche Haus meiner beſten Geſinnun¬ „gen.“ G. d. C. Der Lektor hätte gern dieſes Papier in die Papiermühle geworfen, da ſo wenig daran „oſtenſible“ war. Zwar Gaſpards mörderiſch geſchliffne Ironie über Lianens Kränklichkeit blieb, wenn er ihr das Schreiben zeigte, für die¬ ſe argloſe Friedensfürſtin in der Scheide; — auch der Nordwind des Egoismus, der das Blatt durchſtach, wurde von der Liebenden, da er doch für Albano's frohe Lebensfahrt ein gün¬ ſtiger Seitenwind war, nicht gefühlt oder ge¬ achtet; — aber eben darum; denn ſie konnte Gaſpards verdecktes Nein für ein Ja anſehen und ſich gerade in das Seil tödtlich verwirren, woran der Freund ſie aus ihrem ſteilen Abgrund ziehen wollen. Indeß der Brief mußte übergeben werden — aber er thats mit langen, ſcheuen Weigerun¬ gen, die ihr gleichſam den Schleier von dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/206
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/206>, abgerufen am 23.11.2024.