er erkannte sie an, hielt sie fest, sah sie an, sprach ihr zu: gehe nur ein wenig fort, rette Ihn und dann komme wieder! --
Seine eigne Vervielfältigung ekelte ihn: "müsset Ihr mich stören, ihr Ichs?" sagt' er, und er legte sichs nun vor, wie er stehe vor der reichsten, hellesten Minute und feinsten Goldwage seines Daseyns, wie ein Grab und ein großes Leben liege auf dieser Wage, und wie sein Ich ihm schwinden müsse wie die nach¬ gemachten gläsernen Ichs umher. -- -- -- Plötzlich flog ihn eine Freude an, nicht über den Werth seines Entschlusses, sondern über die Gelegenheit dazu.
Endlich giengen nahe Thüren auf und dann die nächste. -- Da trat mit noch halb zurückge¬ wandtem Kopfe eine große Gestalt herein, ganz in lange schwarze Seide eingehüllt. Wie ein entzückter Mond auf hohen Laubgipfeln, stand auf der seidnen dunkeln Wolke ein üppig-blü¬ hender schmuckloser Kopf voll Leben vor ihm, mit schwarzen Augen voll Blitze, mit dunkeln Rosen auf dem blendenden Gesicht und mit ei¬ ner thronenden Schnee-Stirn unter dem brau¬
er erkannte ſie an, hielt ſie feſt, ſah ſie an, ſprach ihr zu: gehe nur ein wenig fort, rette Ihn und dann komme wieder! —
Seine eigne Vervielfältigung ekelte ihn: „müſſet Ihr mich ſtören, ihr Ichs?“ ſagt' er, und er legte ſichs nun vor, wie er ſtehe vor der reichſten, helleſten Minute und feinſten Goldwage ſeines Daſeyns, wie ein Grab und ein großes Leben liege auf dieſer Wage, und wie ſein Ich ihm ſchwinden müſſe wie die nach¬ gemachten gläſernen Ichs umher. — — — Plötzlich flog ihn eine Freude an, nicht über den Werth ſeines Entſchluſſes, ſondern über die Gelegenheit dazu.
Endlich giengen nahe Thüren auf und dann die nächſte. — Da trat mit noch halb zurückge¬ wandtem Kopfe eine große Geſtalt herein, ganz in lange ſchwarze Seide eingehüllt. Wie ein entzückter Mond auf hohen Laubgipfeln, ſtand auf der ſeidnen dunkeln Wolke ein üppig-blü¬ hender ſchmuckloſer Kopf voll Leben vor ihm, mit ſchwarzen Augen voll Blitze, mit dunkeln Roſen auf dem blendenden Geſicht und mit ei¬ ner thronenden Schnee-Stirn unter dem brau¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0419"n="407"/>
er erkannte ſie an, hielt ſie feſt, ſah ſie an,<lb/>ſprach ihr zu: gehe nur ein wenig fort, rette<lb/>
Ihn und dann komme wieder! —</p><lb/><p>Seine eigne Vervielfältigung ekelte ihn:<lb/>„müſſet Ihr mich ſtören, ihr Ichs?“ſagt' er,<lb/>
und er legte ſichs nun vor, wie er ſtehe vor<lb/>
der reichſten, helleſten Minute und feinſten<lb/>
Goldwage ſeines Daſeyns, wie ein Grab und<lb/>
ein großes Leben liege auf dieſer Wage, und<lb/>
wie ſein Ich ihm ſchwinden müſſe wie die nach¬<lb/>
gemachten gläſernen Ichs umher. ———<lb/>
Plötzlich flog ihn eine Freude an, nicht über<lb/>
den Werth ſeines Entſchluſſes, ſondern über die<lb/>
Gelegenheit dazu.</p><lb/><p>Endlich giengen nahe Thüren auf und dann<lb/>
die nächſte. — Da trat mit noch halb zurückge¬<lb/>
wandtem Kopfe eine große Geſtalt herein, ganz<lb/>
in lange ſchwarze Seide eingehüllt. Wie ein<lb/>
entzückter Mond auf hohen Laubgipfeln, ſtand<lb/>
auf der ſeidnen dunkeln Wolke ein üppig-blü¬<lb/>
hender ſchmuckloſer Kopf voll Leben vor ihm,<lb/>
mit ſchwarzen Augen voll Blitze, mit dunkeln<lb/>
Roſen auf dem blendenden Geſicht und mit ei¬<lb/>
ner thronenden Schnee-Stirn unter dem brau¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[407/0419]
er erkannte ſie an, hielt ſie feſt, ſah ſie an,
ſprach ihr zu: gehe nur ein wenig fort, rette
Ihn und dann komme wieder! —
Seine eigne Vervielfältigung ekelte ihn:
„müſſet Ihr mich ſtören, ihr Ichs?“ ſagt' er,
und er legte ſichs nun vor, wie er ſtehe vor
der reichſten, helleſten Minute und feinſten
Goldwage ſeines Daſeyns, wie ein Grab und
ein großes Leben liege auf dieſer Wage, und
wie ſein Ich ihm ſchwinden müſſe wie die nach¬
gemachten gläſernen Ichs umher. — — —
Plötzlich flog ihn eine Freude an, nicht über
den Werth ſeines Entſchluſſes, ſondern über die
Gelegenheit dazu.
Endlich giengen nahe Thüren auf und dann
die nächſte. — Da trat mit noch halb zurückge¬
wandtem Kopfe eine große Geſtalt herein, ganz
in lange ſchwarze Seide eingehüllt. Wie ein
entzückter Mond auf hohen Laubgipfeln, ſtand
auf der ſeidnen dunkeln Wolke ein üppig-blü¬
hender ſchmuckloſer Kopf voll Leben vor ihm,
mit ſchwarzen Augen voll Blitze, mit dunkeln
Roſen auf dem blendenden Geſicht und mit ei¬
ner thronenden Schnee-Stirn unter dem brau¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/419>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.