Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

faßte und rief: "Nein, Du darfst nicht, bei
meiner Seeligkeit, bei allen Heiligen -- bei
der heiligen Jungfrau -- bei dem Allmächti¬
gen! -- Du darfst, Du sollst nicht!" Einen
Raub giebt es, wogegen ewig der Mann un¬
aufhaltsam entbrannt aufsteht und begieng' ihn
eine Göttinn aus Liebe und böte sie dafür
eine Welt von Paradiesen, es ist der Raub
seiner Freiheit und freien Entwickelung. Ja,
daß es Liebe ist, aber despotische, zugleich Frei¬
heit übende und raubende, das erbittert ihn nur
noch mehr, und aus dem Nebel des Irrthums
wird später das Gewitter der Leidenschaft. --
Linda wiederholte: "Du darfst nicht." Er sah'
ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, dessen süd¬
liche Heftigkeit doch mehr einem Enthusiasmus
glich als einem Zorn und sagte fest: "O Lin¬
da, ich werde wohl dürfen und wollen!" --
"Nein, ich sage nein!" rief sie. --

"Bruder!" sieng die Schwester an. "O
Schwester, (rief er,) sprich sanft, ich bin ein
Mann und habe heftige Fehler." Ihn zog
der erhabene Krieg des Wassers mit der Erde
und mit Felsen, das Durcheinanderstürmen der

faßte und rief: „Nein, Du darfſt nicht, bei
meiner Seeligkeit, bei allen Heiligen — bei
der heiligen Jungfrau — bei dem Allmächti¬
gen! — Du darfſt, Du ſollſt nicht!“ Einen
Raub giebt es, wogegen ewig der Mann un¬
aufhaltſam entbrannt aufſteht und begieng' ihn
eine Göttinn aus Liebe und böte ſie dafür
eine Welt von Paradieſen, es iſt der Raub
ſeiner Freiheit und freien Entwickelung. Ja,
daß es Liebe iſt, aber deſpotiſche, zugleich Frei¬
heit übende und raubende, das erbittert ihn nur
noch mehr, und aus dem Nebel des Irrthums
wird ſpäter das Gewitter der Leidenſchaft. —
Linda wiederholte: „Du darfſt nicht.“ Er ſah'
ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, deſſen ſüd¬
liche Heftigkeit doch mehr einem Enthuſiasmus
glich als einem Zorn und ſagte feſt: „O Lin¬
da, ich werde wohl dürfen und wollen!“ —
„Nein, ich ſage nein!“ rief ſie. —

„Bruder!“ ſieng die Schweſter an. „O
Schweſter, (rief er,) ſprich ſanft, ich bin ein
Mann und habe heftige Fehler.“ Ihn zog
der erhabene Krieg des Waſſers mit der Erde
und mit Felſen, das Durcheinanderſtürmen der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0233" n="221"/>
faßte und rief: &#x201E;Nein, Du darf&#x017F;t nicht, bei<lb/>
meiner Seeligkeit, bei allen Heiligen &#x2014; bei<lb/>
der heiligen Jungfrau &#x2014; bei dem Allmächti¬<lb/>
gen! &#x2014; Du darf&#x017F;t, Du &#x017F;oll&#x017F;t nicht!&#x201C; Einen<lb/>
Raub giebt es, wogegen ewig der Mann un¬<lb/>
aufhalt&#x017F;am entbrannt auf&#x017F;teht und begieng' ihn<lb/>
eine Göttinn aus Liebe und böte &#x017F;ie dafür<lb/>
eine Welt von Paradie&#x017F;en, es i&#x017F;t der Raub<lb/>
&#x017F;einer Freiheit und freien Entwickelung. Ja,<lb/>
daß es Liebe i&#x017F;t, aber de&#x017F;poti&#x017F;che, zugleich Frei¬<lb/>
heit übende und raubende, das erbittert ihn nur<lb/>
noch mehr, und aus dem <hi rendition="#g">Nebel</hi> des Irrthums<lb/>
wird &#x017F;päter das <hi rendition="#g">Gewitter</hi> der Leiden&#x017F;chaft. &#x2014;<lb/>
Linda wiederholte: &#x201E;Du darf&#x017F;t nicht.&#x201C; Er &#x017F;ah'<lb/>
ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;üd¬<lb/>
liche Heftigkeit doch mehr einem Enthu&#x017F;iasmus<lb/>
glich als einem Zorn und &#x017F;agte fe&#x017F;t: &#x201E;O Lin¬<lb/>
da, ich werde wohl dürfen und wollen!&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Nein, ich &#x017F;age nein!&#x201C; rief &#x017F;ie. &#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Bruder!&#x201C; &#x017F;ieng die Schwe&#x017F;ter an. &#x201E;O<lb/>
Schwe&#x017F;ter, (rief er,) &#x017F;prich &#x017F;anft, ich bin ein<lb/>
Mann und habe heftige Fehler.&#x201C; Ihn zog<lb/>
der erhabene Krieg des Wa&#x017F;&#x017F;ers mit der Erde<lb/>
und mit Fel&#x017F;en, das Durcheinander&#x017F;türmen der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0233] faßte und rief: „Nein, Du darfſt nicht, bei meiner Seeligkeit, bei allen Heiligen — bei der heiligen Jungfrau — bei dem Allmächti¬ gen! — Du darfſt, Du ſollſt nicht!“ Einen Raub giebt es, wogegen ewig der Mann un¬ aufhaltſam entbrannt aufſteht und begieng' ihn eine Göttinn aus Liebe und böte ſie dafür eine Welt von Paradieſen, es iſt der Raub ſeiner Freiheit und freien Entwickelung. Ja, daß es Liebe iſt, aber deſpotiſche, zugleich Frei¬ heit übende und raubende, das erbittert ihn nur noch mehr, und aus dem Nebel des Irrthums wird ſpäter das Gewitter der Leidenſchaft. — Linda wiederholte: „Du darfſt nicht.“ Er ſah' ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, deſſen ſüd¬ liche Heftigkeit doch mehr einem Enthuſiasmus glich als einem Zorn und ſagte feſt: „O Lin¬ da, ich werde wohl dürfen und wollen!“ — „Nein, ich ſage nein!“ rief ſie. — „Bruder!“ ſieng die Schweſter an. „O Schweſter, (rief er,) ſprich ſanft, ich bin ein Mann und habe heftige Fehler.“ Ihn zog der erhabene Krieg des Waſſers mit der Erde und mit Felſen, das Durcheinanderſtürmen der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/233
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/233>, abgerufen am 27.11.2024.