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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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sey wie mit Amorsflügeln durch einen kältern
Himmel; -- er kehrte schnell zurück, in der Abend¬
röthe schlug seine Scheidestunde aus.

Als er wiederkam, war Linda allein -- denn
Julienne hatte seinen Dian unter dem Vor¬
wande, das Bilderkabinet zu besehen, von den
Liebenden weggezogen, denen heute ohnehin
nur ein kürzester Tag des Glücks beschieden
war -- und die Geliebte sah ihn bedeutend an:
"Dian sang eigentlich besser (sagte sie) und
epischer, aber Euer lyrisches Wesen hab' ich
doch auch sehr lieb." Sie blickte ihn wieder
an, dann wieder, dann in sein Auge, dann
umarmte sie ihn schnell und kein Laut erklärte
den plötzlichen Kuß. "Wir wollen auf die Ter¬
rasse," sagte sie leise. Sie bestiegen die schöne
Höhe der zehn Terrassen, welche mit Lorbeer-
und Zitronenbäumen und mit Pyramiden und
kolossalischen Statuen und mit der Aussicht auf
das ferne von Dörfern und Alpen umzogne
Ufer das Auge füllt und wo einst Albano sei¬
nen Vater hatt' entfliehen sehen. "Du gefällst
mir immer mehr, Albano, (sagte Linda,) ich
glaube fast, Du kannst recht lieben; erzähle

ſey wie mit Amorsflügeln durch einen kältern
Himmel; — er kehrte ſchnell zurück, in der Abend¬
röthe ſchlug ſeine Scheideſtunde aus.

Als er wiederkam, war Linda allein — denn
Julienne hatte ſeinen Dian unter dem Vor¬
wande, das Bilderkabinet zu beſehen, von den
Liebenden weggezogen, denen heute ohnehin
nur ein kürzeſter Tag des Glücks beſchieden
war — und die Geliebte ſah ihn bedeutend an:
„Dian ſang eigentlich beſſer (ſagte ſie) und
epiſcher, aber Euer lyriſches Weſen hab' ich
doch auch ſehr lieb.“ Sie blickte ihn wieder
an, dann wieder, dann in ſein Auge, dann
umarmte ſie ihn ſchnell und kein Laut erklärte
den plötzlichen Kuß. „Wir wollen auf die Ter¬
raſſe,“ ſagte ſie leiſe. Sie beſtiegen die ſchöne
Höhe der zehn Terraſſen, welche mit Lorbeer-
und Zitronenbäumen und mit Pyramiden und
koloſſaliſchen Statuen und mit der Ausſicht auf
das ferne von Dörfern und Alpen umzogne
Ufer das Auge füllt und wo einſt Albano ſei¬
nen Vater hatt' entfliehen ſehen. „Du gefällſt
mir immer mehr, Albano, (ſagte Linda,) ich
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[247/0259] ſey wie mit Amorsflügeln durch einen kältern Himmel; — er kehrte ſchnell zurück, in der Abend¬ röthe ſchlug ſeine Scheideſtunde aus. Als er wiederkam, war Linda allein — denn Julienne hatte ſeinen Dian unter dem Vor¬ wande, das Bilderkabinet zu beſehen, von den Liebenden weggezogen, denen heute ohnehin nur ein kürzeſter Tag des Glücks beſchieden war — und die Geliebte ſah ihn bedeutend an: „Dian ſang eigentlich beſſer (ſagte ſie) und epiſcher, aber Euer lyriſches Weſen hab' ich doch auch ſehr lieb.“ Sie blickte ihn wieder an, dann wieder, dann in ſein Auge, dann umarmte ſie ihn ſchnell und kein Laut erklärte den plötzlichen Kuß. „Wir wollen auf die Ter¬ raſſe,“ ſagte ſie leiſe. Sie beſtiegen die ſchöne Höhe der zehn Terraſſen, welche mit Lorbeer- und Zitronenbäumen und mit Pyramiden und koloſſaliſchen Statuen und mit der Ausſicht auf das ferne von Dörfern und Alpen umzogne Ufer das Auge füllt und wo einſt Albano ſei¬ nen Vater hatt' entfliehen ſehen. „Du gefällſt mir immer mehr, Albano, (ſagte Linda,) ich glaube faſt, Du kannſt recht lieben; erzähle

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/259>, abgerufen am 22.11.2024.