Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Erdensohn! -- Auch der Adigo, der vorher ihn
im wilden Gebürge unter dem Namen Etsch
begleitet hatte, folgte ihm mit dem schönern in
die Ebene nach. Die Fürstin schien ihm, er
wußte nicht warum, milder, jungfräulicher ge¬
worden in Gestalt und Blick, und er warf sich
seinen frühern Irrthum vor. Aber er begieng
einen spätern; über ihre stark gezeichnete Phy¬
siognomie stiegen hinter Wien die welschen
schärfern empor und die schreienden Farben,
worein sie sich gern kleidete, wurden von den
italienischen überschrieen. Ein fremder Boden
ist ein Redouten- und Brunnensaal, wo nur
menschliche Verhältnisse und keine politische
walten und in der Fremde ist man sich am
wenigsten Fremdling -- alles berührte sich
freundlich, wie fremde Hände sich suchen und
fassen unter dem Steigen von Bergen. Wie
verehrend sah Albano die Fürstinn an! Denn
er dachte: "sie wollte die Erblaßte mitnehmen
"in das heilende Eden. -- O die Heilige würde
"ja an diesem Morgen glücklich seyn und wei¬
"nen mit dem blauen Auge vor Seeligkeit." --
Dann that es seines, aber nicht vor Seelig¬

keit;

Erdenſohn! — Auch der Adigo, der vorher ihn
im wilden Gebürge unter dem Namen Etſch
begleitet hatte, folgte ihm mit dem ſchönern in
die Ebene nach. Die Fürſtin ſchien ihm, er
wußte nicht warum, milder, jungfräulicher ge¬
worden in Geſtalt und Blick, und er warf ſich
ſeinen frühern Irrthum vor. Aber er begieng
einen ſpätern; über ihre ſtark gezeichnete Phy¬
ſiognomie ſtiegen hinter Wien die welſchen
ſchärfern empor und die ſchreienden Farben,
worein ſie ſich gern kleidete, wurden von den
italieniſchen überſchrieen. Ein fremder Boden
iſt ein Redouten- und Brunnenſaal, wo nur
menſchliche Verhältniſſe und keine politiſche
walten und in der Fremde iſt man ſich am
wenigſten Fremdling — alles berührte ſich
freundlich, wie fremde Hände ſich ſuchen und
faſſen unter dem Steigen von Bergen. Wie
verehrend ſah Albano die Fürſtinn an! Denn
er dachte: „ſie wollte die Erblaßte mitnehmen
„in das heilende Eden. — O die Heilige würde
„ja an dieſem Morgen glücklich ſeyn und wei¬
„nen mit dem blauen Auge vor Seeligkeit.“ —
Dann that es ſeines, aber nicht vor Seelig¬

keit;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="16"/>
Erden&#x017F;ohn! &#x2014; Auch der Adigo, der vorher ihn<lb/>
im wilden Gebürge unter dem Namen Et&#x017F;ch<lb/>
begleitet hatte, folgte ihm mit dem &#x017F;chönern in<lb/>
die Ebene nach. Die Für&#x017F;tin &#x017F;chien ihm, er<lb/>
wußte nicht warum, milder, jungfräulicher ge¬<lb/>
worden in Ge&#x017F;talt und Blick, und er warf &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;einen frühern Irrthum vor. Aber er begieng<lb/>
einen &#x017F;pätern; über ihre &#x017F;tark gezeichnete Phy¬<lb/>
&#x017F;iognomie &#x017F;tiegen hinter Wien die wel&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;chärfern empor und die &#x017F;chreienden Farben,<lb/>
worein &#x017F;ie &#x017F;ich gern kleidete, wurden von den<lb/>
italieni&#x017F;chen über&#x017F;chrieen. Ein fremder Boden<lb/>
i&#x017F;t ein Redouten- und Brunnen&#x017F;aal, wo nur<lb/>
men&#x017F;chliche Verhältni&#x017F;&#x017F;e und keine politi&#x017F;che<lb/>
walten und in der Fremde i&#x017F;t man &#x017F;ich am<lb/>
wenig&#x017F;ten Fremdling &#x2014; alles berührte &#x017F;ich<lb/>
freundlich, wie fremde Hände &#x017F;ich &#x017F;uchen und<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en unter dem Steigen von Bergen. Wie<lb/>
verehrend &#x017F;ah Albano die Für&#x017F;tinn an! Denn<lb/>
er dachte: &#x201E;&#x017F;ie wollte die Erblaßte mitnehmen<lb/>
&#x201E;in das heilende Eden. &#x2014; O die Heilige würde<lb/>
&#x201E;ja an die&#x017F;em Morgen glücklich &#x017F;eyn und wei¬<lb/>
&#x201E;nen mit dem blauen Auge vor Seeligkeit.&#x201C; &#x2014;<lb/>
Dann that es &#x017F;eines, aber nicht vor Seelig¬<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">keit;<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0028] Erdenſohn! — Auch der Adigo, der vorher ihn im wilden Gebürge unter dem Namen Etſch begleitet hatte, folgte ihm mit dem ſchönern in die Ebene nach. Die Fürſtin ſchien ihm, er wußte nicht warum, milder, jungfräulicher ge¬ worden in Geſtalt und Blick, und er warf ſich ſeinen frühern Irrthum vor. Aber er begieng einen ſpätern; über ihre ſtark gezeichnete Phy¬ ſiognomie ſtiegen hinter Wien die welſchen ſchärfern empor und die ſchreienden Farben, worein ſie ſich gern kleidete, wurden von den italieniſchen überſchrieen. Ein fremder Boden iſt ein Redouten- und Brunnenſaal, wo nur menſchliche Verhältniſſe und keine politiſche walten und in der Fremde iſt man ſich am wenigſten Fremdling — alles berührte ſich freundlich, wie fremde Hände ſich ſuchen und faſſen unter dem Steigen von Bergen. Wie verehrend ſah Albano die Fürſtinn an! Denn er dachte: „ſie wollte die Erblaßte mitnehmen „in das heilende Eden. — O die Heilige würde „ja an dieſem Morgen glücklich ſeyn und wei¬ „nen mit dem blauen Auge vor Seeligkeit.“ — Dann that es ſeines, aber nicht vor Seelig¬ keit;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/28
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/28>, abgerufen am 03.12.2024.