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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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gestellt hab' er sich: die Leiden und Freuden
eines Christen, im ersten Theil die Leiden, im
zweiten die Freuden -- Hierauf hab' er, aber
auf närrische Art und Sprache, aber doch auch
mit Bibelsprüchen die Noth auf der Welt kurz
zusammengedrängt, worunter er sehr unerwartet
sonderbare Sachen, lange Predigten, die beiden
Pole, häßliche Gesichter, die Komplimente, die
Spieler und die Welt-Dummheit gezählt -- Dar¬
auf sey er zum Trost im zweiten Theile vorge¬
schritten und habe die künftigen Freuden eines
Christen beschrieben, welche, wie er lästerlich
gesagt, in eine Himmelfahrt ins zukünftige
Nichts, in dem Tode nach dem Tode bestände,
in einer ewigen Befreiung vom Ich -- Da
hab' er, grausend sey es zu hören gewesen, die
benachbarten Todten unten in der Kirche und
in der fürstlichen Gruft angeredet und gefragt:
ob sie zu klagen hätten? "Ersteht, (sagt' er,)
setzt euch in die Stühle und schlagt die Augen
auf, falls sie naß sind. Aber sie sind trockner
als euer Staub. O wie liegt die unendliche
Vorwelt so still und schön gewickelt in den eig¬
nen Schatten, auf das Bette der Selbst-Asche

geſtellt hab' er ſich: die Leiden und Freuden
eines Chriſten, im erſten Theil die Leiden, im
zweiten die Freuden — Hierauf hab' er, aber
auf närriſche Art und Sprache, aber doch auch
mit Bibelſprüchen die Noth auf der Welt kurz
zuſammengedrängt, worunter er ſehr unerwartet
ſonderbare Sachen, lange Predigten, die beiden
Pole, häßliche Geſichter, die Komplimente, die
Spieler und die Welt-Dummheit gezählt — Dar¬
auf ſey er zum Troſt im zweiten Theile vorge¬
ſchritten und habe die künftigen Freuden eines
Chriſten beſchrieben, welche, wie er läſterlich
geſagt, in eine Himmelfahrt ins zukünftige
Nichts, in dem Tode nach dem Tode beſtände,
in einer ewigen Befreiung vom Ich — Da
hab' er, grauſend ſey es zu hören geweſen, die
benachbarten Todten unten in der Kirche und
in der fürſtlichen Gruft angeredet und gefragt:
ob ſie zu klagen hätten? „Erſteht, (ſagt' er,)
ſetzt euch in die Stühle und ſchlagt die Augen
auf, falls ſie naß ſind. Aber ſie ſind trockner
als euer Staub. O wie liegt die unendliche
Vorwelt ſo ſtill und ſchön gewickelt in den eig¬
nen Schatten, auf das Bette der Selbſt-Aſche

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[276/0288] geſtellt hab' er ſich: die Leiden und Freuden eines Chriſten, im erſten Theil die Leiden, im zweiten die Freuden — Hierauf hab' er, aber auf närriſche Art und Sprache, aber doch auch mit Bibelſprüchen die Noth auf der Welt kurz zuſammengedrängt, worunter er ſehr unerwartet ſonderbare Sachen, lange Predigten, die beiden Pole, häßliche Geſichter, die Komplimente, die Spieler und die Welt-Dummheit gezählt — Dar¬ auf ſey er zum Troſt im zweiten Theile vorge¬ ſchritten und habe die künftigen Freuden eines Chriſten beſchrieben, welche, wie er läſterlich geſagt, in eine Himmelfahrt ins zukünftige Nichts, in dem Tode nach dem Tode beſtände, in einer ewigen Befreiung vom Ich — Da hab' er, grauſend ſey es zu hören geweſen, die benachbarten Todten unten in der Kirche und in der fürſtlichen Gruft angeredet und gefragt: ob ſie zu klagen hätten? „Erſteht, (ſagt' er,) ſetzt euch in die Stühle und ſchlagt die Augen auf, falls ſie naß ſind. Aber ſie ſind trockner als euer Staub. O wie liegt die unendliche Vorwelt ſo ſtill und ſchön gewickelt in den eig¬ nen Schatten, auf das Bette der Selbſt-Aſche

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/288>, abgerufen am 22.11.2024.