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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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rüttelt das Thier die Wiege der Leser und giebt
Lust, der Schwanz aber wird ein Knecht.""

""Zu solchen Bildern (sagte der Bibliothe¬
kar) wäre allerdings die gebildete Welt durch
keinen Rabener oder Voltaire gewöhnt und ich
erkenne nun selber die Satyre nicht für Ihr
Fach."" -- ""O so wahr!"" versetzt' ich und
wir schieden gütlich.

-- Aber ernsthaft genommen, Bruder, was
hat nun ein Mensch übrig (sowohl an Aus¬
sichten als an Wünschen), dem das Säkulum
so versalzen ist, wie mir und das Leben durch
die Lebendigen -- den die allgemeine matte
Heuchelei und die glänzende Politur des giftig¬
sten Holzes verdriesset -- und die entsetzliche
Gemeinheit des deutschen Lebenstheaters -- und
die noch größere des deutschen Theater-Lebens
-- und die pontinischen Sümpfe Kotzebuischer
ehr- und zuchtloser Weichlichkeit, die kein hei¬
liger Vater austrocknen und fest machen kann
-- und der ermordete Stolz neben der lebendi¬
gen Eitelkeit umher, so daß ich mich, um nur
Luft zu schöpfen, stundenlang zu den Spielen
der Kinder und des Viehs hinstellen kann, weil

Titan IV. T

rüttelt das Thier die Wiege der Leſer und giebt
Luſt, der Schwanz aber wird ein Knecht.““

„„Zu ſolchen Bildern (ſagte der Bibliothe¬
kar) wäre allerdings die gebildete Welt durch
keinen Rabener oder Voltaire gewöhnt und ich
erkenne nun ſelber die Satyre nicht für Ihr
Fach.““ — „„O ſo wahr!““ verſetzt' ich und
wir ſchieden gütlich.

— Aber ernſthaft genommen, Bruder, was
hat nun ein Menſch übrig (ſowohl an Aus¬
ſichten als an Wünſchen), dem das Säkulum
ſo verſalzen iſt, wie mir und das Leben durch
die Lebendigen — den die allgemeine matte
Heuchelei und die glänzende Politur des giftig¬
ſten Holzes verdrieſſet — und die entſetzliche
Gemeinheit des deutſchen Lebenstheaters — und
die noch größere des deutſchen Theater-Lebens
— und die pontiniſchen Sümpfe Kotzebuiſcher
ehr- und zuchtloſer Weichlichkeit, die kein hei¬
liger Vater austrocknen und feſt machen kann
— und der ermordete Stolz neben der lebendi¬
gen Eitelkeit umher, ſo daß ich mich, um nur
Luft zu ſchöpfen, ſtundenlang zu den Spielen
der Kinder und des Viehs hinſtellen kann, weil

Titan IV. T
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[289/0301] rüttelt das Thier die Wiege der Leſer und giebt Luſt, der Schwanz aber wird ein Knecht.““ „„Zu ſolchen Bildern (ſagte der Bibliothe¬ kar) wäre allerdings die gebildete Welt durch keinen Rabener oder Voltaire gewöhnt und ich erkenne nun ſelber die Satyre nicht für Ihr Fach.““ — „„O ſo wahr!““ verſetzt' ich und wir ſchieden gütlich. — Aber ernſthaft genommen, Bruder, was hat nun ein Menſch übrig (ſowohl an Aus¬ ſichten als an Wünſchen), dem das Säkulum ſo verſalzen iſt, wie mir und das Leben durch die Lebendigen — den die allgemeine matte Heuchelei und die glänzende Politur des giftig¬ ſten Holzes verdrieſſet — und die entſetzliche Gemeinheit des deutſchen Lebenstheaters — und die noch größere des deutſchen Theater-Lebens — und die pontiniſchen Sümpfe Kotzebuiſcher ehr- und zuchtloſer Weichlichkeit, die kein hei¬ liger Vater austrocknen und feſt machen kann — und der ermordete Stolz neben der lebendi¬ gen Eitelkeit umher, ſo daß ich mich, um nur Luft zu ſchöpfen, ſtundenlang zu den Spielen der Kinder und des Viehs hinſtellen kann, weil Titan IV. T

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/301>, abgerufen am 22.11.2024.