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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Glück gemacht und dem Lebens-Skorpion der
ganze Stachel weggeschlagen. Aber was steht
nicht noch für goldnes edelsteinernes Glück of¬
fen? Kann ich nicht ein sehr begünstigter Lieb¬
haber seyn; der den Sonnenkörper einer Ge¬
liebten den ganzen Tag im Himmel ziehen sieht
und hinaufschauet und ruft: ich sehe nur Dein
Sonnen-Auge, aber es genügt? -- Kann ich
nicht ein Verstorbner seyn, der voll Unglauben
an die zweite Welt in solche gefahren ist und nun
da gar nicht weiß wo er hinaus soll vor Lust?
-- O kann ich nicht -- denn der kürzere Traum
und das Alter verkindern ja schon -- wieder
ein unschuldiges Kind seyn, das spielt und nichts
weiß, das die Menschen für Eltern hält und
das nun einen aus der bunten Blase des Le¬
bens zusammengefallenen Thränentropfen vor
sich stehen hat und den Tropfen wieder mit der
Pfeife geschickt zum flimmernden Farben-Welt¬
kügelchen aufbläset?

Es ist eben Mitternacht; ich muß jetzt in
die Kirche gehen, meine Vesper-Andacht zu
halten.

Glück gemacht und dem Lebens-Skorpion der
ganze Stachel weggeſchlagen. Aber was ſteht
nicht noch für goldnes edelſteinernes Glück of¬
fen? Kann ich nicht ein ſehr begünſtigter Lieb¬
haber ſeyn; der den Sonnenkörper einer Ge¬
liebten den ganzen Tag im Himmel ziehen ſieht
und hinaufſchauet und ruft: ich ſehe nur Dein
Sonnen-Auge, aber es genügt? — Kann ich
nicht ein Verſtorbner ſeyn, der voll Unglauben
an die zweite Welt in ſolche gefahren iſt und nun
da gar nicht weiß wo er hinaus ſoll vor Luſt?
— O kann ich nicht — denn der kürzere Traum
und das Alter verkindern ja ſchon — wieder
ein unſchuldiges Kind ſeyn, das ſpielt und nichts
weiß, das die Menſchen für Eltern hält und
das nun einen aus der bunten Blaſe des Le¬
bens zuſammengefallenen Thränentropfen vor
ſich ſtehen hat und den Tropfen wieder mit der
Pfeife geſchickt zum flimmernden Farben-Welt¬
kügelchen aufbläſet?

Es iſt eben Mitternacht; ich muß jetzt in
die Kirche gehen, meine Veſper-Andacht zu
halten.

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[298/0310] Glück gemacht und dem Lebens-Skorpion der ganze Stachel weggeſchlagen. Aber was ſteht nicht noch für goldnes edelſteinernes Glück of¬ fen? Kann ich nicht ein ſehr begünſtigter Lieb¬ haber ſeyn; der den Sonnenkörper einer Ge¬ liebten den ganzen Tag im Himmel ziehen ſieht und hinaufſchauet und ruft: ich ſehe nur Dein Sonnen-Auge, aber es genügt? — Kann ich nicht ein Verſtorbner ſeyn, der voll Unglauben an die zweite Welt in ſolche gefahren iſt und nun da gar nicht weiß wo er hinaus ſoll vor Luſt? — O kann ich nicht — denn der kürzere Traum und das Alter verkindern ja ſchon — wieder ein unſchuldiges Kind ſeyn, das ſpielt und nichts weiß, das die Menſchen für Eltern hält und das nun einen aus der bunten Blaſe des Le¬ bens zuſammengefallenen Thränentropfen vor ſich ſtehen hat und den Tropfen wieder mit der Pfeife geſchickt zum flimmernden Farben-Welt¬ kügelchen aufbläſet? Es iſt eben Mitternacht; ich muß jetzt in die Kirche gehen, meine Veſper-Andacht zu halten.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/310>, abgerufen am 22.11.2024.