"Kennst Du mich nicht?" fragte leise neben ihm Linda in Reisekleidern weinend in heller Liebe und Wonne -- und Julienne drängte sich, beiden Vorsicht zuwinkend, aus dem Ein¬ gangsgebüsch des Flötenthals hervor und rief zum listigen Scheine: "Linda, Linda, hörst Du denn die Flöten nicht?" -- Und Albano hatte den schweren Brief vergessen.
123. Zykel.
Wie ein schnell mit hundert Flügeln aufrau¬ schendes Konzert, so schlug die schnelle Gegen¬ wart alter Liebe und Freude über den verlas¬ senen, um den Freund bekümmerten Jüngling in schönen Fluchen zusammen; und von der Entzückung getroffen, sah er Linda wieder wie auf Ischia; aber diese sah ihn wieder wie in einem andern Elysium, sie war weicher, zärter, heißer, eingedenk seiner Vergangenheit in die¬ sem Garten. Sie wollte gar nichts von ihrer eignen Reise, Geschichte erzählen oder hören. Albano bedeckte sein Geheimniß von Schoppe mit mächtiger aber zitternder Brust; nur seinem Vater brannt' er sie aufzuthun. Unaufhörlich
„Kennſt Du mich nicht?“ fragte leiſe neben ihm Linda in Reiſekleidern weinend in heller Liebe und Wonne — und Julienne drängte ſich, beiden Vorſicht zuwinkend, aus dem Ein¬ gangsgebüſch des Flötenthals hervor und rief zum liſtigen Scheine: „Linda, Linda, hörſt Du denn die Flöten nicht?“ — Und Albano hatte den ſchweren Brief vergeſſen.
123. Zykel.
Wie ein ſchnell mit hundert Flügeln aufrau¬ ſchendes Konzert, ſo ſchlug die ſchnelle Gegen¬ wart alter Liebe und Freude über den verlas¬ ſenen, um den Freund bekümmerten Jüngling in ſchönen Fluchen zuſammen; und von der Entzückung getroffen, ſah er Linda wieder wie auf Iſchia; aber dieſe ſah ihn wieder wie in einem andern Elyſium, ſie war weicher, zärter, heißer, eingedenk ſeiner Vergangenheit in die¬ ſem Garten. Sie wollte gar nichts von ihrer eignen Reiſe, Geſchichte erzählen oder hören. Albano bedeckte ſein Geheimniß von Schoppe mit mächtiger aber zitternder Bruſt; nur ſeinem Vater brannt' er ſie aufzuthun. Unaufhörlich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0322"n="310"/>„Kennſt Du mich nicht?“ fragte leiſe neben<lb/>
ihm Linda in Reiſekleidern weinend in heller<lb/>
Liebe und Wonne — und Julienne drängte<lb/>ſich, beiden Vorſicht zuwinkend, aus dem Ein¬<lb/>
gangsgebüſch des Flötenthals hervor und rief<lb/>
zum liſtigen Scheine: „Linda, Linda, hörſt Du<lb/>
denn die Flöten nicht?“— Und Albano hatte<lb/>
den ſchweren Brief vergeſſen.</p><lb/></div><divn="2"><head>123. <hirendition="#g">Zykel.</hi><lb/></head><p>Wie ein ſchnell mit hundert Flügeln aufrau¬<lb/>ſchendes Konzert, ſo ſchlug die ſchnelle Gegen¬<lb/>
wart alter Liebe und Freude über den verlas¬<lb/>ſenen, um den Freund bekümmerten Jüngling<lb/>
in ſchönen Fluchen zuſammen; und von der<lb/>
Entzückung getroffen, ſah er Linda wieder wie<lb/>
auf Iſchia; aber dieſe ſah ihn wieder wie in<lb/>
einem andern Elyſium, ſie war weicher, zärter,<lb/>
heißer, eingedenk ſeiner Vergangenheit in die¬<lb/>ſem Garten. Sie wollte gar nichts von ihrer<lb/>
eignen Reiſe, Geſchichte erzählen oder hören.<lb/>
Albano bedeckte ſein Geheimniß von Schoppe<lb/>
mit mächtiger aber zitternder Bruſt; nur ſeinem<lb/>
Vater brannt' er ſie aufzuthun. Unaufhörlich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[310/0322]
„Kennſt Du mich nicht?“ fragte leiſe neben
ihm Linda in Reiſekleidern weinend in heller
Liebe und Wonne — und Julienne drängte
ſich, beiden Vorſicht zuwinkend, aus dem Ein¬
gangsgebüſch des Flötenthals hervor und rief
zum liſtigen Scheine: „Linda, Linda, hörſt Du
denn die Flöten nicht?“ — Und Albano hatte
den ſchweren Brief vergeſſen.
123. Zykel.
Wie ein ſchnell mit hundert Flügeln aufrau¬
ſchendes Konzert, ſo ſchlug die ſchnelle Gegen¬
wart alter Liebe und Freude über den verlas¬
ſenen, um den Freund bekümmerten Jüngling
in ſchönen Fluchen zuſammen; und von der
Entzückung getroffen, ſah er Linda wieder wie
auf Iſchia; aber dieſe ſah ihn wieder wie in
einem andern Elyſium, ſie war weicher, zärter,
heißer, eingedenk ſeiner Vergangenheit in die¬
ſem Garten. Sie wollte gar nichts von ihrer
eignen Reiſe, Geſchichte erzählen oder hören.
Albano bedeckte ſein Geheimniß von Schoppe
mit mächtiger aber zitternder Bruſt; nur ſeinem
Vater brannt' er ſie aufzuthun. Unaufhörlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/322>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.