"Schau hinauf zu jenem Garten, (sagte die Schwester außer sich,) dort liegt Deine erste Braut begraben und schone die zweite!" -- Das wirkte gerade das Gegentheil: "Liane (sagt' er kalt) wäre nicht so gewesen; begleite nur die Gräfinn!" "O die Männer!" rief sie und gieng.
Bald darauf sah er beide davon fahren. Allmahlig zerstob das wilde Heer des Zorns. Aber er hatte, fühlt' er, nicht anders gekonnt. Er war ihr, sie ihm mit solcher neuen Zärtlich¬ keit entgegengereiset -- keines wußte von der fremden -- und der unbegreifliche Kontrast ent¬ rüstete darum beide so sehr -- Er haßte schon an andern Menschen das Bitten, wie viel mehr an sich selber, und nie war er vermögend, ei¬ nen Menschen, der ihn verkannte, zurecht zu weisen. Er sah jetzt um sich, alle prangenden Springbrunnen der Freude waren plötzlich nie¬ dergefallen, die Lüfte verödet und das Wasser murmelte in den Tiefen. Er ritt hinauf zum Garten, wo Lianens Grab seyn sollte. Nur Blumenbeete, einen Lindenbaum mit einer Zir¬ kelbank sah er darin, aber kein Grab. Betäubt
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„Schau hinauf zu jenem Garten, (ſagte die Schweſter außer ſich,) dort liegt Deine erſte Braut begraben und ſchone die zweite!“ — Das wirkte gerade das Gegentheil: „Liane (ſagt' er kalt) wäre nicht ſo geweſen; begleite nur die Gräfinn!“ „O die Männer!“ rief ſie und gieng.
Bald darauf ſah er beide davon fahren. Allmahlig zerſtob das wilde Heer des Zorns. Aber er hatte, fühlt' er, nicht anders gekonnt. Er war ihr, ſie ihm mit ſolcher neuen Zärtlich¬ keit entgegengereiſet — keines wußte von der fremden — und der unbegreifliche Kontraſt ent¬ rüſtete darum beide ſo ſehr — Er haßte ſchon an andern Menſchen das Bitten, wie viel mehr an ſich ſelber, und nie war er vermögend, ei¬ nen Menſchen, der ihn verkannte, zurecht zu weiſen. Er ſah jetzt um ſich, alle prangenden Springbrunnen der Freude waren plötzlich nie¬ dergefallen, die Lüfte verödet und das Waſſer murmelte in den Tiefen. Er ritt hinauf zum Garten, wo Lianens Grab ſeyn ſollte. Nur Blumenbeete, einen Lindenbaum mit einer Zir¬ kelbank ſah er darin, aber kein Grab. Betäubt
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„Schau hinauf zu jenem Garten, (ſagte die
Schweſter außer ſich,) dort liegt Deine erſte
Braut begraben und ſchone die zweite!“ —
Das wirkte gerade das Gegentheil: „Liane
(ſagt' er kalt) wäre nicht ſo geweſen; begleite
nur die Gräfinn!“ „O die Männer!“ rief ſie
und gieng.
Bald darauf ſah er beide davon fahren.
Allmahlig zerſtob das wilde Heer des Zorns.
Aber er hatte, fühlt' er, nicht anders gekonnt.
Er war ihr, ſie ihm mit ſolcher neuen Zärtlich¬
keit entgegengereiſet — keines wußte von der
fremden — und der unbegreifliche Kontraſt ent¬
rüſtete darum beide ſo ſehr — Er haßte ſchon
an andern Menſchen das Bitten, wie viel mehr
an ſich ſelber, und nie war er vermögend, ei¬
nen Menſchen, der ihn verkannte, zurecht zu
weiſen. Er ſah jetzt um ſich, alle prangenden
Springbrunnen der Freude waren plötzlich nie¬
dergefallen, die Lüfte verödet und das Waſſer
murmelte in den Tiefen. Er ritt hinauf zum
Garten, wo Lianens Grab ſeyn ſollte. Nur
Blumenbeete, einen Lindenbaum mit einer Zir¬
kelbank ſah er darin, aber kein Grab. Betäubt
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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/367>, abgerufen am 22.11.2024.
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