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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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ewig gräbt und schreibt, und jeder Buchstabe
ist eine Wunde -- Rathe nicht! Sie nennen's
das Gewissen. Aber ein wenig Schlaftrunk her
auf der Schlafinsel, Karl!"

Man brachte Wein. Er erzählte nun dem
Freunde sein Leben -- seine Fehler, worunter
er auch den aufführte, den er eben fortsetzte,
das Trinken -- seine sich wiedergebährende Ei¬
telkeit sogar mit ihrem Selbst-Geständniß --
seine Weiber-Siege, die ihn zu einem Mag¬
net-Berge voll angeflogner Nägel zerfallner
Schiffe machten -- seinen Hang, wie Kardan
Freunde zu beleidigen, ein eigenes oder frem¬
des Glück zu unterbrechen, wie schon als Kind
den Prediger, oder im schönsten Spiel das Kla¬
vier zu zerschlagen, und in einem Enthusias¬
mus das Frechste zu denken --

"Sonst hatt' ich doch noch zwei Ichs, eines
das versprach und log, eines, das dem andern
glaubte; jetzt lügen sie beide einander an und
keines glaubt." Carlos antwortete: "schreck¬
lich! -- Aber Deine Trauer ist ja selber Hülfe
und Gabe" -- "Ach was! (versetzt' er.) Der
Mensch verdammt weniger das Schlimme als

ewig gräbt und ſchreibt, und jeder Buchſtabe
iſt eine Wunde — Rathe nicht! Sie nennen's
das Gewiſſen. Aber ein wenig Schlaftrunk her
auf der Schlafinſel, Karl!“

Man brachte Wein. Er erzählte nun dem
Freunde ſein Leben — ſeine Fehler, worunter
er auch den aufführte, den er eben fortſetzte,
das Trinken — ſeine ſich wiedergebährende Ei¬
telkeit ſogar mit ihrem Selbſt-Geſtändniß —
ſeine Weiber-Siege, die ihn zu einem Mag¬
net-Berge voll angeflogner Nägel zerfallner
Schiffe machten — ſeinen Hang, wie Kardan
Freunde zu beleidigen, ein eigenes oder frem¬
des Glück zu unterbrechen, wie ſchon als Kind
den Prediger, oder im ſchönſten Spiel das Kla¬
vier zu zerſchlagen, und in einem Enthuſias¬
mus das Frechſte zu denken —

„Sonſt hatt' ich doch noch zwei Ichs, eines
das verſprach und log, eines, das dem andern
glaubte; jetzt lügen ſie beide einander an und
keines glaubt.“ Carlos antwortete: „ſchreck¬
lich! — Aber Deine Trauer iſt ja ſelber Hülfe
und Gabe“ — „Ach was! (verſetzt' er.) Der
Menſch verdammt weniger das Schlimme als

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[396/0408] ewig gräbt und ſchreibt, und jeder Buchſtabe iſt eine Wunde — Rathe nicht! Sie nennen's das Gewiſſen. Aber ein wenig Schlaftrunk her auf der Schlafinſel, Karl!“ Man brachte Wein. Er erzählte nun dem Freunde ſein Leben — ſeine Fehler, worunter er auch den aufführte, den er eben fortſetzte, das Trinken — ſeine ſich wiedergebährende Ei¬ telkeit ſogar mit ihrem Selbſt-Geſtändniß — ſeine Weiber-Siege, die ihn zu einem Mag¬ net-Berge voll angeflogner Nägel zerfallner Schiffe machten — ſeinen Hang, wie Kardan Freunde zu beleidigen, ein eigenes oder frem¬ des Glück zu unterbrechen, wie ſchon als Kind den Prediger, oder im ſchönſten Spiel das Kla¬ vier zu zerſchlagen, und in einem Enthuſias¬ mus das Frechſte zu denken — „Sonſt hatt' ich doch noch zwei Ichs, eines das verſprach und log, eines, das dem andern glaubte; jetzt lügen ſie beide einander an und keines glaubt.“ Carlos antwortete: „ſchreck¬ lich! — Aber Deine Trauer iſt ja ſelber Hülfe und Gabe“ — „Ach was! (verſetzt' er.) Der Menſch verdammt weniger das Schlimme als

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/408>, abgerufen am 22.11.2024.