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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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leicht von einem solchen Selbstmörder verblen¬
den lassen, welche? -- Aber ich sehe, Du weißt
nicht alles." -- "Dient's aber zu was?" frag¬
te er. --

Sie fieng, verwundert über diese Frage,
ohne Antwort die Erzählung an.

Am Tage, wo Albano Schoppen gefunden,
wollte Julienne ihre Freundin Linda, die sie
seit dem Abende des Trauerspiels nicht gesehen,
wieder besuchen. Alle Zimmer in Lilar waren
dicht verhangen gegen den Tag. Julienne fand
sie in der Finsterniß sitzend, mit niedergesenkten,
halboffnen Augen, äusserlich sehr ruhig. Nur
in langen Zwischenräumen fiel eine kleine Thräne
aus den Augen heraus. Der reissende Strom
gieng hoch über die Räder ihres Lebens und
sie standen tief unter ihm still. "Bist Du es,
Julienne? (sagte sie sanft.) Verzeih' die Fin¬
sterniß; Nacht ist für meine Augen jetzt Grün.
Es thut mir weh, etwas zu sehen." Die Braut¬
fackel ihres Daseyns war ausgelöscht, nun woll¬
te sie Nacht zur Nacht.

Julienne that bange Fragen der Verwun¬
derung; sie gab keine Antwort darauf. "Ist's

leicht von einem ſolchen Selbſtmörder verblen¬
den laſſen, welche? — Aber ich ſehe, Du weißt
nicht alles.“ — „Dient's aber zu was?“ frag¬
te er. —

Sie fieng, verwundert über dieſe Frage,
ohne Antwort die Erzählung an.

Am Tage, wo Albano Schoppen gefunden,
wollte Julienne ihre Freundin Linda, die ſie
ſeit dem Abende des Trauerſpiels nicht geſehen,
wieder beſuchen. Alle Zimmer in Lilar waren
dicht verhangen gegen den Tag. Julienne fand
ſie in der Finſterniß ſitzend, mit niedergeſenkten,
halboffnen Augen, äuſſerlich ſehr ruhig. Nur
in langen Zwiſchenräumen fiel eine kleine Thräne
aus den Augen heraus. Der reiſſende Strom
gieng hoch über die Räder ihres Lebens und
ſie ſtanden tief unter ihm ſtill. „Biſt Du es,
Julienne? (ſagte ſie ſanft.) Verzeih' die Fin¬
ſterniß; Nacht iſt für meine Augen jetzt Grün.
Es thut mir weh, etwas zu ſehen.“ Die Braut¬
fackel ihres Daſeyns war ausgelöſcht, nun woll¬
te ſie Nacht zur Nacht.

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derung; ſie gab keine Antwort darauf. „Iſt's

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[443/0455] leicht von einem ſolchen Selbſtmörder verblen¬ den laſſen, welche? — Aber ich ſehe, Du weißt nicht alles.“ — „Dient's aber zu was?“ frag¬ te er. — Sie fieng, verwundert über dieſe Frage, ohne Antwort die Erzählung an. Am Tage, wo Albano Schoppen gefunden, wollte Julienne ihre Freundin Linda, die ſie ſeit dem Abende des Trauerſpiels nicht geſehen, wieder beſuchen. Alle Zimmer in Lilar waren dicht verhangen gegen den Tag. Julienne fand ſie in der Finſterniß ſitzend, mit niedergeſenkten, halboffnen Augen, äuſſerlich ſehr ruhig. Nur in langen Zwiſchenräumen fiel eine kleine Thräne aus den Augen heraus. Der reiſſende Strom gieng hoch über die Räder ihres Lebens und ſie ſtanden tief unter ihm ſtill. „Biſt Du es, Julienne? (ſagte ſie ſanft.) Verzeih' die Fin¬ ſterniß; Nacht iſt für meine Augen jetzt Grün. Es thut mir weh, etwas zu ſehen.“ Die Braut¬ fackel ihres Daſeyns war ausgelöſcht, nun woll¬ te ſie Nacht zur Nacht. Julienne that bange Fragen der Verwun¬ derung; ſie gab keine Antwort darauf. „Iſt's

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/455>, abgerufen am 22.11.2024.