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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber
die Träume giengen nackt und keck um ihn.
Albano opferte ihm leicht seine gesunden Näch¬
te, konnt' aber doch nicht alle Träume des
Freundes, diese Gespenster, die sonst vor Le¬
bendigen entfliegen und einsinken, von dannen
treiben. Sie schlichen und blickten in Winkel-
Schatten der Stube. -- Einst gegen Mitter¬
nacht war Albano hinausgegangen und traf
wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer
Hand die andere fieng und sagte: "wen hab'
ich da, Mensch?" -- "O guter, bester Schop¬
pe, (rief Albano halbzürnend,) solche grund¬
lose Spiele! Eben so gut könnte ein Finger
den andern fassen!" -- "Ja freilich," versetzt'
er. "Aber höre (sagt' er leise, und kauerte
sich, bückte den Kopf und wies mit dem rech¬
len Zeigefinger über die Nase hin in die Höhe),
Du nanntest mich Schoppe -- so heiß' ich nicht,
aber ich darf meinen Nahmen nicht ausspre¬
chen, der Ich, der mich so lange sucht, hört's
und fährt her -- Ein langer Leichenstein liegt
auf dem Nahmen. Schoppe oder Scioppius
konnt' ich mich sehr wohl nennen, weil mein

Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber
die Träume giengen nackt und keck um ihn.
Albano opferte ihm leicht ſeine geſunden Näch¬
te, konnt' aber doch nicht alle Träume des
Freundes, dieſe Geſpenſter, die ſonſt vor Le¬
bendigen entfliegen und einſinken, von dannen
treiben. Sie ſchlichen und blickten in Winkel-
Schatten der Stube. — Einſt gegen Mitter¬
nacht war Albano hinausgegangen und traf
wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer
Hand die andere fieng und ſagte: „wen hab'
ich da, Menſch?“ — „O guter, beſter Schop¬
pe, (rief Albano halbzürnend,) ſolche grund¬
loſe Spiele! Eben ſo gut könnte ein Finger
den andern faſſen!“ — „Ja freilich,“ verſetzt'
er. „Aber höre (ſagt' er leiſe, und kauerte
ſich, bückte den Kopf und wies mit dem rech¬
len Zeigefinger über die Naſe hin in die Höhe),
Du nannteſt mich Schoppe — ſo heiß' ich nicht,
aber ich darf meinen Nahmen nicht ausſpre¬
chen, der Ich, der mich ſo lange ſucht, hört's
und fährt her — Ein langer Leichenſtein liegt
auf dem Nahmen. Schoppe oder Scioppius
konnt' ich mich ſehr wohl nennen, weil mein

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[472/0484] Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber die Träume giengen nackt und keck um ihn. Albano opferte ihm leicht ſeine geſunden Näch¬ te, konnt' aber doch nicht alle Träume des Freundes, dieſe Geſpenſter, die ſonſt vor Le¬ bendigen entfliegen und einſinken, von dannen treiben. Sie ſchlichen und blickten in Winkel- Schatten der Stube. — Einſt gegen Mitter¬ nacht war Albano hinausgegangen und traf wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer Hand die andere fieng und ſagte: „wen hab' ich da, Menſch?“ — „O guter, beſter Schop¬ pe, (rief Albano halbzürnend,) ſolche grund¬ loſe Spiele! Eben ſo gut könnte ein Finger den andern faſſen!“ — „Ja freilich,“ verſetzt' er. „Aber höre (ſagt' er leiſe, und kauerte ſich, bückte den Kopf und wies mit dem rech¬ len Zeigefinger über die Naſe hin in die Höhe), Du nannteſt mich Schoppe — ſo heiß' ich nicht, aber ich darf meinen Nahmen nicht ausſpre¬ chen, der Ich, der mich ſo lange ſucht, hört's und fährt her — Ein langer Leichenſtein liegt auf dem Nahmen. Schoppe oder Scioppius konnt' ich mich ſehr wohl nennen, weil mein

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/484>, abgerufen am 22.11.2024.