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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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er sich gegen diesen, als er von ihm den Eid
begehrte, sogleich nach seinem Tode nach Pe¬
stiz abzureisen. Denn da Albano, der so gern
Neapel sah und dem alle diese den väterlichen
Tod voraussetzenden Bedingungen schwer an¬
kamen, zögernd weigerte: so sagte Gaspard:
"das sey so recht menschlich und üblich, fremde
Schmerzen ungemein zu beklagen und redlich
mitzufühlen, sie aber ohne Anstand zu schär¬
fen, sobald das Geringste gethan werden solle."
Albano gab das Wort und den Eid; und zeigt'
es ihm nie mehr, wenn er weinte aus Kin¬
desliebe.

Unerwartet erschien vor diesem Kranken¬
bette Gaspards nächster und frühester Anver¬
wandter, sein Bruder. Albano stand dabei,
als das seltsame Wesen ankam und den Todt¬
kranken ansprach und zwei starre gläserne Au¬
gen, als wären sie eingesetzte, weit von dem
wegdrehte, womit es redete -- so phantastisch
und doch voll kalter Welt gegen den sterben¬
den Bruder -- mit hängender Gesichtshaut auf
bedeutenden Gesichtsknochen -- ein aufgerichte¬
ter falber Währwolf, erst aus der thierischen

er ſich gegen dieſen, als er von ihm den Eid
begehrte, ſogleich nach ſeinem Tode nach Pe¬
ſtiz abzureiſen. Denn da Albano, der ſo gern
Neapel ſah und dem alle dieſe den väterlichen
Tod vorausſetzenden Bedingungen ſchwer an¬
kamen, zögernd weigerte: ſo ſagte Gaſpard:
„das ſey ſo recht menſchlich und üblich, fremde
Schmerzen ungemein zu beklagen und redlich
mitzufühlen, ſie aber ohne Anſtand zu ſchär¬
fen, ſobald das Geringſte gethan werden ſolle.“
Albano gab das Wort und den Eid; und zeigt'
es ihm nie mehr, wenn er weinte aus Kin¬
desliebe.

Unerwartet erſchien vor dieſem Kranken¬
bette Gaſpards nächſter und früheſter Anver¬
wandter, ſein Bruder. Albano ſtand dabei,
als das ſeltſame Weſen ankam und den Todt¬
kranken anſprach und zwei ſtarre gläſerne Au¬
gen, als wären ſie eingeſetzte, weit von dem
wegdrehte, womit es redete — ſo phantaſtiſch
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[75/0087] er ſich gegen dieſen, als er von ihm den Eid begehrte, ſogleich nach ſeinem Tode nach Pe¬ ſtiz abzureiſen. Denn da Albano, der ſo gern Neapel ſah und dem alle dieſe den väterlichen Tod vorausſetzenden Bedingungen ſchwer an¬ kamen, zögernd weigerte: ſo ſagte Gaſpard: „das ſey ſo recht menſchlich und üblich, fremde Schmerzen ungemein zu beklagen und redlich mitzufühlen, ſie aber ohne Anſtand zu ſchär¬ fen, ſobald das Geringſte gethan werden ſolle.“ Albano gab das Wort und den Eid; und zeigt' es ihm nie mehr, wenn er weinte aus Kin¬ desliebe. Unerwartet erſchien vor dieſem Kranken¬ bette Gaſpards nächſter und früheſter Anver¬ wandter, ſein Bruder. Albano ſtand dabei, als das ſeltſame Weſen ankam und den Todt¬ kranken anſprach und zwei ſtarre gläſerne Au¬ gen, als wären ſie eingeſetzte, weit von dem wegdrehte, womit es redete — ſo phantaſtiſch und doch voll kalter Welt gegen den ſterben¬ den Bruder — mit hängender Geſichtshaut auf bedeutenden Geſichtsknochen — ein aufgerichte¬ ter falber Währwolf, erſt aus der thieriſchen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/87>, abgerufen am 21.11.2024.