Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde.
Nach Erfüllung aller kritischen Vorsichtsmassregeln die Sprache
auch dann als Classificationsmittel verschmähen oder sich über die
Ergebnisse der linguistischen Forschungen unsrer Tage hinweg-
setzen wird nur der, welcher sich über die Ausdauer der Körper-
merkmale überspannte Vorstellungen gebildet hat. Wo aber die
Sprachvergleichung sich mit den Racenmerkmalen in Widerspruch
befindet, da müssen wir nothwendig an eine Blutmischung denken.
Wir werden daher nicht zögern, die Bewohner Kaschgariens zu
den türkischen Mischvölkern zu zählen, denn nach ihrem Gesichts-
typus müssten sie sonst unter die Indogermanen gereiht werden.
Wir haben nämlich bei ihnen anzunehmen, dass der herrschende,
türkisch redende Volksstamm mit den unterworfnen Tadschik,
iranischer Abkunft, so stark sich vermischt habe, dass seine ur-
sprünglichen Körpermerkmale völlig sich verloren.

Die Sprachverwandtschaften, die sich auf Gemeinsamkeit der
sinnbegrenzenden Hilfssylben begründen, werden unangefochten
von allen Linguisten anerkannt. Bedenklicher sind die Fälle und
getheilter die Meinungen bei Aehnlichkeiten, die nur auf dem
übereinstimmenden Wesen des Sprachbaues beruhen. Selbst hier
aber herrscht Einmüthigkeit, wenigstens in Bezug auf die Einge-
bornen Amerikas. Noch allen Linguisten hat die Gemeinsamkeit
des einverleibenden Verfahrens genügt, um sie als Glieder einer
Menschenfamilie zu betrachten und von ihnen die Eskimo abzu-
sondern, die ihre Worte durch Suffixe bilden, zumal auch bei den
ersteren keine scharfen körperlichen Sondermerkmale zu irgend
einer tiefgreifenden Trennung ermuthigen könnten. Viel besorgter
müssen wir auf die Zusammenfassung der uralaltaischen Völker
blicken, bei denen das Gemeinschaftliche der einzelnen Gruppen
nur im Typus des Sprachbaues beruht, in ihrer Beschränkung auf
suffigirte Formelemente. Selbst bei ihnen nehmen wir noch die
Abkunft aus einer gemeinsamen Heimath an, weil wenigstens die
Besonderheit ihrer lautharmonischen Gesetze nur ihnen allein eigen
ist und wir vermuthen dürfen, dass, wenn ihre Sprachdenkmale
nicht, wie es der Fall ist, nur wenige Jahrhunderte, sondern ein
paar Jahrtausende zurückreichten, wahrscheinlich stärkere Verwandt-
schaftsmerkmale sich entdecken liessen und endlich weil die Körper-
merkmale zu einer solchen Vereinigung ermuthigen. Unzulässig dünkt
uns dagegen, die uralaltaische Gruppe wieder zu einer turanischen
Familie zu erweitern und die Dravidasprachen der eingebornen

Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde.
Nach Erfüllung aller kritischen Vorsichtsmassregeln die Sprache
auch dann als Classificationsmittel verschmähen oder sich über die
Ergebnisse der linguistischen Forschungen unsrer Tage hinweg-
setzen wird nur der, welcher sich über die Ausdauer der Körper-
merkmale überspannte Vorstellungen gebildet hat. Wo aber die
Sprachvergleichung sich mit den Racenmerkmalen in Widerspruch
befindet, da müssen wir nothwendig an eine Blutmischung denken.
Wir werden daher nicht zögern, die Bewohner Kaschgariens zu
den türkischen Mischvölkern zu zählen, denn nach ihrem Gesichts-
typus müssten sie sonst unter die Indogermanen gereiht werden.
Wir haben nämlich bei ihnen anzunehmen, dass der herrschende,
türkisch redende Volksstamm mit den unterworfnen Tadschik,
iranischer Abkunft, so stark sich vermischt habe, dass seine ur-
sprünglichen Körpermerkmale völlig sich verloren.

Die Sprachverwandtschaften, die sich auf Gemeinsamkeit der
sinnbegrenzenden Hilfssylben begründen, werden unangefochten
von allen Linguisten anerkannt. Bedenklicher sind die Fälle und
getheilter die Meinungen bei Aehnlichkeiten, die nur auf dem
übereinstimmenden Wesen des Sprachbaues beruhen. Selbst hier
aber herrscht Einmüthigkeit, wenigstens in Bezug auf die Einge-
bornen Amerikas. Noch allen Linguisten hat die Gemeinsamkeit
des einverleibenden Verfahrens genügt, um sie als Glieder einer
Menschenfamilie zu betrachten und von ihnen die Eskimo abzu-
sondern, die ihre Worte durch Suffixe bilden, zumal auch bei den
ersteren keine scharfen körperlichen Sondermerkmale zu irgend
einer tiefgreifenden Trennung ermuthigen könnten. Viel besorgter
müssen wir auf die Zusammenfassung der uralaltaischen Völker
blicken, bei denen das Gemeinschaftliche der einzelnen Gruppen
nur im Typus des Sprachbaues beruht, in ihrer Beschränkung auf
suffigirte Formelemente. Selbst bei ihnen nehmen wir noch die
Abkunft aus einer gemeinsamen Heimath an, weil wenigstens die
Besonderheit ihrer lautharmonischen Gesetze nur ihnen allein eigen
ist und wir vermuthen dürfen, dass, wenn ihre Sprachdenkmale
nicht, wie es der Fall ist, nur wenige Jahrhunderte, sondern ein
paar Jahrtausende zurückreichten, wahrscheinlich stärkere Verwandt-
schaftsmerkmale sich entdecken liessen und endlich weil die Körper-
merkmale zu einer solchen Vereinigung ermuthigen. Unzulässig dünkt
uns dagegen, die uralaltaische Gruppe wieder zu einer turanischen
Familie zu erweitern und die Dravidasprachen der eingebornen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0153" n="135"/><fw place="top" type="header">Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde.</fw><lb/>
Nach Erfüllung aller kritischen Vorsichtsmassregeln die Sprache<lb/>
auch dann als Classificationsmittel verschmähen oder sich über die<lb/>
Ergebnisse der linguistischen Forschungen unsrer Tage hinweg-<lb/>
setzen wird nur der, welcher sich über die Ausdauer der Körper-<lb/>
merkmale überspannte Vorstellungen gebildet hat. Wo aber die<lb/>
Sprachvergleichung sich mit den Racenmerkmalen in Widerspruch<lb/>
befindet, da müssen wir nothwendig an eine Blutmischung denken.<lb/>
Wir werden daher nicht zögern, die Bewohner Kaschgariens zu<lb/>
den türkischen Mischvölkern zu zählen, denn nach ihrem Gesichts-<lb/>
typus müssten sie sonst unter die Indogermanen gereiht werden.<lb/>
Wir haben nämlich bei ihnen anzunehmen, dass der herrschende,<lb/>
türkisch redende Volksstamm mit den unterworfnen Tadschik,<lb/>
iranischer Abkunft, so stark sich vermischt habe, dass seine ur-<lb/>
sprünglichen Körpermerkmale völlig sich verloren.</p><lb/>
          <p>Die Sprachverwandtschaften, die sich auf Gemeinsamkeit der<lb/>
sinnbegrenzenden Hilfssylben begründen, werden unangefochten<lb/>
von allen Linguisten anerkannt. Bedenklicher sind die Fälle und<lb/>
getheilter die Meinungen bei Aehnlichkeiten, die nur auf dem<lb/>
übereinstimmenden Wesen des Sprachbaues beruhen. Selbst hier<lb/>
aber herrscht Einmüthigkeit, wenigstens in Bezug auf die Einge-<lb/>
bornen Amerikas. Noch allen Linguisten hat die Gemeinsamkeit<lb/>
des einverleibenden Verfahrens genügt, um sie als Glieder einer<lb/>
Menschenfamilie zu betrachten und von ihnen die Eskimo abzu-<lb/>
sondern, die ihre Worte durch Suffixe bilden, zumal auch bei den<lb/>
ersteren keine scharfen körperlichen Sondermerkmale zu irgend<lb/>
einer tiefgreifenden Trennung ermuthigen könnten. Viel besorgter<lb/>
müssen wir auf die Zusammenfassung der uralaltaischen Völker<lb/>
blicken, bei denen das Gemeinschaftliche der einzelnen Gruppen<lb/>
nur im Typus des Sprachbaues beruht, in ihrer Beschränkung auf<lb/>
suffigirte Formelemente. Selbst bei ihnen nehmen wir noch die<lb/>
Abkunft aus einer gemeinsamen Heimath an, weil wenigstens die<lb/>
Besonderheit ihrer lautharmonischen Gesetze nur ihnen allein eigen<lb/>
ist und wir vermuthen dürfen, dass, wenn ihre Sprachdenkmale<lb/>
nicht, wie es der Fall ist, nur wenige Jahrhunderte, sondern ein<lb/>
paar Jahrtausende zurückreichten, wahrscheinlich stärkere Verwandt-<lb/>
schaftsmerkmale sich entdecken liessen und endlich weil die Körper-<lb/>
merkmale zu einer solchen Vereinigung ermuthigen. Unzulässig dünkt<lb/>
uns dagegen, die uralaltaische Gruppe wieder zu einer turanischen<lb/>
Familie zu erweitern und die Dravidasprachen der eingebornen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0153] Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde. Nach Erfüllung aller kritischen Vorsichtsmassregeln die Sprache auch dann als Classificationsmittel verschmähen oder sich über die Ergebnisse der linguistischen Forschungen unsrer Tage hinweg- setzen wird nur der, welcher sich über die Ausdauer der Körper- merkmale überspannte Vorstellungen gebildet hat. Wo aber die Sprachvergleichung sich mit den Racenmerkmalen in Widerspruch befindet, da müssen wir nothwendig an eine Blutmischung denken. Wir werden daher nicht zögern, die Bewohner Kaschgariens zu den türkischen Mischvölkern zu zählen, denn nach ihrem Gesichts- typus müssten sie sonst unter die Indogermanen gereiht werden. Wir haben nämlich bei ihnen anzunehmen, dass der herrschende, türkisch redende Volksstamm mit den unterworfnen Tadschik, iranischer Abkunft, so stark sich vermischt habe, dass seine ur- sprünglichen Körpermerkmale völlig sich verloren. Die Sprachverwandtschaften, die sich auf Gemeinsamkeit der sinnbegrenzenden Hilfssylben begründen, werden unangefochten von allen Linguisten anerkannt. Bedenklicher sind die Fälle und getheilter die Meinungen bei Aehnlichkeiten, die nur auf dem übereinstimmenden Wesen des Sprachbaues beruhen. Selbst hier aber herrscht Einmüthigkeit, wenigstens in Bezug auf die Einge- bornen Amerikas. Noch allen Linguisten hat die Gemeinsamkeit des einverleibenden Verfahrens genügt, um sie als Glieder einer Menschenfamilie zu betrachten und von ihnen die Eskimo abzu- sondern, die ihre Worte durch Suffixe bilden, zumal auch bei den ersteren keine scharfen körperlichen Sondermerkmale zu irgend einer tiefgreifenden Trennung ermuthigen könnten. Viel besorgter müssen wir auf die Zusammenfassung der uralaltaischen Völker blicken, bei denen das Gemeinschaftliche der einzelnen Gruppen nur im Typus des Sprachbaues beruht, in ihrer Beschränkung auf suffigirte Formelemente. Selbst bei ihnen nehmen wir noch die Abkunft aus einer gemeinsamen Heimath an, weil wenigstens die Besonderheit ihrer lautharmonischen Gesetze nur ihnen allein eigen ist und wir vermuthen dürfen, dass, wenn ihre Sprachdenkmale nicht, wie es der Fall ist, nur wenige Jahrhunderte, sondern ein paar Jahrtausende zurückreichten, wahrscheinlich stärkere Verwandt- schaftsmerkmale sich entdecken liessen und endlich weil die Körper- merkmale zu einer solchen Vereinigung ermuthigen. Unzulässig dünkt uns dagegen, die uralaltaische Gruppe wieder zu einer turanischen Familie zu erweitern und die Dravidasprachen der eingebornen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/153
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/153>, abgerufen am 22.12.2024.