Wollen wir uns also ein Bild von der Ernährungsweise der Urstämme unsres Geschlechtes vor der Erhebung zum Ackerbau, ja vor dem Betrieb der Jagd entwerfen, so dürfen wir nicht den- ken, dass Pflanzenkost allein den Hunger gestillt habe, sondern dass vielmehr alles ergriffen wurde, was geniessbar erschien. Be- geben wir uns zunächst an die See, so lassen sich dort von den Watten oder vom Meeresgrund selbst nahrhafte Muscheln, sowie Schnecken in ergiebiger Menge und zu jeder Jahreszeit auflesen. Die Anhäufungen von Schalen und Gehäusen essbarer Weichthiere, die sich bankartig längs den Ufern der dänischen Inseln erstrecken und den Archäologen als Küchenabfälle (Kjökkenmöddinger) wohl bekannt sind, bestehen aus den Schalen von 4 Molluskenarten der Ostsee, die in der Zeit der ungeglätteten bis zur Zeit der abge- glätteten Steingeräthe baltische Strombewohner ernährten 1). Sobald das Auge für solche Erscheinungen geschärft war, haben andre Forscher ganz gleiche Muschelanhäufungen in Schottland, den Vereinigten Staaten, in Brasilien und in Australien erkannt.
Erbeutung von Fischen ohne Fischereigeräthe, also ohne Netze oder Angelschnur gehört zum Alltagsleben in Kamtschatka. Fünf- zehn Meilen im Innern dieser Halbinsel fand Kennan 2) die schwachen Gewässer durch die Leiber von todten und faulenden Lachsen verpestet. Solche Fische von 18--20 Zoll Länge sah er in Bächen, die kaum ihre Rücken mit Wasser völlig bedeckten, sich mühsam aufwärts winden, so dass sie mit Händen herausge- hoben werden konnten. In Kambodia, wo Fischereigeräthe fehlten, bemerkte Adolf Bastian 3), dass die Eingebornen das Wasser des Tasavai in einen Kanal leiteten, dann es abdämmten und wieder ausschöpften, um die mittlerweile eingetretnen Fische mit den Händen zu fangen. Ganz ähnlich verfuhr ein Chinese bei Calumpit auf der Insel Luzon, den F. Jagor 4) beobachtete. Mehr Ueber- legung und längere Naturbeobachtung setzt schon das Vergiften von Fischwassern voraus, wie es vorzüglich in Südamerika betrieben wird. Am ausführlichsten ist das Verfahren in Guayana von F. Appun geschildert worden 5), der übrigens bei den dortigen
1) S. oben. S. 44.
2) Tent Life in Siberia. London 1871. p. 108.
3) Völker Ostasiens. Jena 1868. Bd. 4. S. 49.
4) Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. S. 47.
5) Ausland 1870. S. 1139. S. 1156.
Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.
Wollen wir uns also ein Bild von der Ernährungsweise der Urstämme unsres Geschlechtes vor der Erhebung zum Ackerbau, ja vor dem Betrieb der Jagd entwerfen, so dürfen wir nicht den- ken, dass Pflanzenkost allein den Hunger gestillt habe, sondern dass vielmehr alles ergriffen wurde, was geniessbar erschien. Be- geben wir uns zunächst an die See, so lassen sich dort von den Watten oder vom Meeresgrund selbst nahrhafte Muscheln, sowie Schnecken in ergiebiger Menge und zu jeder Jahreszeit auflesen. Die Anhäufungen von Schalen und Gehäusen essbarer Weichthiere, die sich bankartig längs den Ufern der dänischen Inseln erstrecken und den Archäologen als Küchenabfälle (Kjökkenmöddinger) wohl bekannt sind, bestehen aus den Schalen von 4 Molluskenarten der Ostsee, die in der Zeit der ungeglätteten bis zur Zeit der abge- glätteten Steingeräthe baltische Strombewohner ernährten 1). Sobald das Auge für solche Erscheinungen geschärft war, haben andre Forscher ganz gleiche Muschelanhäufungen in Schottland, den Vereinigten Staaten, in Brasilien und in Australien erkannt.
Erbeutung von Fischen ohne Fischereigeräthe, also ohne Netze oder Angelschnur gehört zum Alltagsleben in Kamtschatka. Fünf- zehn Meilen im Innern dieser Halbinsel fand Kennan 2) die schwachen Gewässer durch die Leiber von todten und faulenden Lachsen verpestet. Solche Fische von 18—20 Zoll Länge sah er in Bächen, die kaum ihre Rücken mit Wasser völlig bedeckten, sich mühsam aufwärts winden, so dass sie mit Händen herausge- hoben werden konnten. In Kambodia, wo Fischereigeräthe fehlten, bemerkte Adolf Bastian 3), dass die Eingebornen das Wasser des Tasavai in einen Kanal leiteten, dann es abdämmten und wieder ausschöpften, um die mittlerweile eingetretnen Fische mit den Händen zu fangen. Ganz ähnlich verfuhr ein Chinese bei Calumpit auf der Insel Luzon, den F. Jagor 4) beobachtete. Mehr Ueber- legung und längere Naturbeobachtung setzt schon das Vergiften von Fischwassern voraus, wie es vorzüglich in Südamerika betrieben wird. Am ausführlichsten ist das Verfahren in Guayana von F. Appun geschildert worden 5), der übrigens bei den dortigen
1) S. oben. S. 44.
2) Tent Life in Siberia. London 1871. p. 108.
3) Völker Ostasiens. Jena 1868. Bd. 4. S. 49.
4) Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. S. 47.
5) Ausland 1870. S. 1139. S. 1156.
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Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.
Wollen wir uns also ein Bild von der Ernährungsweise der
Urstämme unsres Geschlechtes vor der Erhebung zum Ackerbau,
ja vor dem Betrieb der Jagd entwerfen, so dürfen wir nicht den-
ken, dass Pflanzenkost allein den Hunger gestillt habe, sondern
dass vielmehr alles ergriffen wurde, was geniessbar erschien. Be-
geben wir uns zunächst an die See, so lassen sich dort von den
Watten oder vom Meeresgrund selbst nahrhafte Muscheln, sowie
Schnecken in ergiebiger Menge und zu jeder Jahreszeit auflesen.
Die Anhäufungen von Schalen und Gehäusen essbarer Weichthiere,
die sich bankartig längs den Ufern der dänischen Inseln erstrecken
und den Archäologen als Küchenabfälle (Kjökkenmöddinger) wohl
bekannt sind, bestehen aus den Schalen von 4 Molluskenarten der
Ostsee, die in der Zeit der ungeglätteten bis zur Zeit der abge-
glätteten Steingeräthe baltische Strombewohner ernährten 1). Sobald
das Auge für solche Erscheinungen geschärft war, haben andre
Forscher ganz gleiche Muschelanhäufungen in Schottland, den
Vereinigten Staaten, in Brasilien und in Australien erkannt.
Erbeutung von Fischen ohne Fischereigeräthe, also ohne Netze
oder Angelschnur gehört zum Alltagsleben in Kamtschatka. Fünf-
zehn Meilen im Innern dieser Halbinsel fand Kennan 2) die
schwachen Gewässer durch die Leiber von todten und faulenden
Lachsen verpestet. Solche Fische von 18—20 Zoll Länge sah er
in Bächen, die kaum ihre Rücken mit Wasser völlig bedeckten,
sich mühsam aufwärts winden, so dass sie mit Händen herausge-
hoben werden konnten. In Kambodia, wo Fischereigeräthe fehlten,
bemerkte Adolf Bastian 3), dass die Eingebornen das Wasser des
Tasavai in einen Kanal leiteten, dann es abdämmten und wieder
ausschöpften, um die mittlerweile eingetretnen Fische mit den
Händen zu fangen. Ganz ähnlich verfuhr ein Chinese bei Calumpit
auf der Insel Luzon, den F. Jagor 4) beobachtete. Mehr Ueber-
legung und längere Naturbeobachtung setzt schon das Vergiften
von Fischwassern voraus, wie es vorzüglich in Südamerika betrieben
wird. Am ausführlichsten ist das Verfahren in Guayana von
F. Appun geschildert worden 5), der übrigens bei den dortigen
1) S. oben. S. 44.
2) Tent Life in Siberia. London 1871. p. 108.
3) Völker Ostasiens. Jena 1868. Bd. 4. S. 49.
4) Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. S. 47.
5) Ausland 1870. S. 1139. S. 1156.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/182>, abgerufen am 22.12.2024.
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