Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
tannien eine viel höhere gesellschaftliche Entwicklung aufwiesen als
unsere eigenen Vorfahren zu Cäsars Zeiten. Die Römer fanden
bei den alten Briten schon eine sehr durchgebildete Landwirth-
schaft, bei welcher zur Steigerung der Felderträge bereits ein mi-
neralisches Düngemittel, nämlich der Mergel, mit Nutzen ange-
wendet wurde, auch bedienten sich die Britannier im Gefechte
künstlicher Kriegswerkzeuge eigener Erfindung, nämlich der Sichel-
wagen. Der Besitz einer so unersetzlichen und so gesuchten Ri-
messe, wie das Zinn in der Bronzezeit es war, an sich schon ein
Förderungsmittel der Gesittung, näherte sie durch den Handel
frühzeitig den Mittelmeervölkern und trug zur beschleunigten Reife
ihrer Zustände bei.

Etwas ähnliches besassen die Uferbewohner der Nordsee und
noch mehr der Ostsee in dem Bernstein. Der Bernstein muss
frühzeitig die Ufer des Mittelmeeres erreicht haben, wenn er auch
anfänglich nur von Horde zu Horde ausgetauscht wurde. Hätten
die Römer sich nicht als Eroberer schon an den Mündungen der
Weser und Ems gezeigt, und hätte nicht Drusus schon seine Schiffe
bis zur Nordspitze von Jütland vordringen lassen, gewiss würde der
Bernstein allein die Mittelmeercultur nach dem Norden zu ziehen
vermocht haben, unternahm doch zu Nero's Zeiten (56 n. Chr.) ein
römischer Ritter als Festlandsentdecker eine Reise über die Kar-
pathen bis zu den Bernsteinländern Ostpreussens, und kehrte mit
einer Ladung jener geschätzten Fosilien nach der Hauptstadt des
Erdkreises zurück. Dem Bernstein verdanken wir ganz sicherlich
die Wahrzeichen einer vorzeitigen Cultur an dem Gestade der
Ostsee, denn in Beziehung zu ihm stehen die zahlreichen Funde
von griechischen und römischen Münzen, sowie von Bronzearbeiten
an den baltischen Küsten, und jene Metallgeräthe dienten wahr-
scheinlich den einheimischen Künstlern als Vorbilder und Muster,
so dass es dem Bernstein vielleicht zugeschrieben werden darf,
dass im Norden Europas das Bronzealter eine erfreuliche Reife zeigt.

Wir lernen also als Verbreitungsmittel der menschlichen Ge-
sittung und als Lockmittel für Völkerwanderungen die Seltenheiten
und Kostbarkeiten der drei Reiche verehren, und wir gewahren,
dass diejenigen Länderräume, die durch den Besitz solcher Schätze
begünstigt waren, früher als andere in den Kreis einer höheren
Gesittung hineingezogen wurden, so dass der Ortsbewegung der
Cultur dadurch vielfach ihre Bahnen vorgeschrieben worden sind.

Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
tannien eine viel höhere gesellschaftliche Entwicklung aufwiesen als
unsere eigenen Vorfahren zu Cäsars Zeiten. Die Römer fanden
bei den alten Briten schon eine sehr durchgebildete Landwirth-
schaft, bei welcher zur Steigerung der Felderträge bereits ein mi-
neralisches Düngemittel, nämlich der Mergel, mit Nutzen ange-
wendet wurde, auch bedienten sich die Britannier im Gefechte
künstlicher Kriegswerkzeuge eigener Erfindung, nämlich der Sichel-
wagen. Der Besitz einer so unersetzlichen und so gesuchten Ri-
messe, wie das Zinn in der Bronzezeit es war, an sich schon ein
Förderungsmittel der Gesittung, näherte sie durch den Handel
frühzeitig den Mittelmeervölkern und trug zur beschleunigten Reife
ihrer Zustände bei.

Etwas ähnliches besassen die Uferbewohner der Nordsee und
noch mehr der Ostsee in dem Bernstein. Der Bernstein muss
frühzeitig die Ufer des Mittelmeeres erreicht haben, wenn er auch
anfänglich nur von Horde zu Horde ausgetauscht wurde. Hätten
die Römer sich nicht als Eroberer schon an den Mündungen der
Weser und Ems gezeigt, und hätte nicht Drusus schon seine Schiffe
bis zur Nordspitze von Jütland vordringen lassen, gewiss würde der
Bernstein allein die Mittelmeercultur nach dem Norden zu ziehen
vermocht haben, unternahm doch zu Nero’s Zeiten (56 n. Chr.) ein
römischer Ritter als Festlandsentdecker eine Reise über die Kar-
pathen bis zu den Bernsteinländern Ostpreussens, und kehrte mit
einer Ladung jener geschätzten Fosilien nach der Hauptstadt des
Erdkreises zurück. Dem Bernstein verdanken wir ganz sicherlich
die Wahrzeichen einer vorzeitigen Cultur an dem Gestade der
Ostsee, denn in Beziehung zu ihm stehen die zahlreichen Funde
von griechischen und römischen Münzen, sowie von Bronzearbeiten
an den baltischen Küsten, und jene Metallgeräthe dienten wahr-
scheinlich den einheimischen Künstlern als Vorbilder und Muster,
so dass es dem Bernstein vielleicht zugeschrieben werden darf,
dass im Norden Europas das Bronzealter eine erfreuliche Reife zeigt.

Wir lernen also als Verbreitungsmittel der menschlichen Ge-
sittung und als Lockmittel für Völkerwanderungen die Seltenheiten
und Kostbarkeiten der drei Reiche verehren, und wir gewahren,
dass diejenigen Länderräume, die durch den Besitz solcher Schätze
begünstigt waren, früher als andere in den Kreis einer höheren
Gesittung hineingezogen wurden, so dass der Ortsbewegung der
Cultur dadurch vielfach ihre Bahnen vorgeschrieben worden sind.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0244" n="226"/><fw place="top" type="header">Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.</fw><lb/>
tannien eine viel höhere gesellschaftliche Entwicklung aufwiesen als<lb/>
unsere eigenen Vorfahren zu Cäsars Zeiten. Die Römer fanden<lb/>
bei den alten Briten schon eine sehr durchgebildete Landwirth-<lb/>
schaft, bei welcher zur Steigerung der Felderträge bereits ein mi-<lb/>
neralisches Düngemittel, nämlich der Mergel, mit Nutzen ange-<lb/>
wendet wurde, auch bedienten sich die Britannier im Gefechte<lb/>
künstlicher Kriegswerkzeuge eigener Erfindung, nämlich der Sichel-<lb/>
wagen. Der Besitz einer so unersetzlichen und so gesuchten Ri-<lb/>
messe, wie das Zinn in der Bronzezeit es war, an sich schon ein<lb/>
Förderungsmittel der Gesittung, näherte sie durch den Handel<lb/>
frühzeitig den Mittelmeervölkern und trug zur beschleunigten Reife<lb/>
ihrer Zustände bei.</p><lb/>
          <p>Etwas ähnliches besassen die Uferbewohner der Nordsee und<lb/>
noch mehr der Ostsee in dem Bernstein. Der Bernstein muss<lb/>
frühzeitig die Ufer des Mittelmeeres erreicht haben, wenn er auch<lb/>
anfänglich nur von Horde zu Horde ausgetauscht wurde. Hätten<lb/>
die Römer sich nicht als Eroberer schon an den Mündungen der<lb/>
Weser und Ems gezeigt, und hätte nicht Drusus schon seine Schiffe<lb/>
bis zur Nordspitze von Jütland vordringen lassen, gewiss würde der<lb/>
Bernstein allein die Mittelmeercultur nach dem Norden zu ziehen<lb/>
vermocht haben, unternahm doch zu Nero&#x2019;s Zeiten (56 n. Chr.) ein<lb/>
römischer Ritter als Festlandsentdecker eine Reise über die Kar-<lb/>
pathen bis zu den Bernsteinländern Ostpreussens, und kehrte mit<lb/>
einer Ladung jener geschätzten Fosilien nach der Hauptstadt des<lb/>
Erdkreises zurück. Dem Bernstein verdanken wir ganz sicherlich<lb/>
die Wahrzeichen einer vorzeitigen Cultur an dem Gestade der<lb/>
Ostsee, denn in Beziehung zu ihm stehen die zahlreichen Funde<lb/>
von griechischen und römischen Münzen, sowie von Bronzearbeiten<lb/>
an den baltischen Küsten, und jene Metallgeräthe dienten wahr-<lb/>
scheinlich den einheimischen Künstlern als Vorbilder und Muster,<lb/>
so dass es dem Bernstein vielleicht zugeschrieben werden darf,<lb/>
dass im Norden Europas das Bronzealter eine erfreuliche Reife zeigt.</p><lb/>
          <p>Wir lernen also als Verbreitungsmittel der menschlichen Ge-<lb/>
sittung und als Lockmittel für Völkerwanderungen die Seltenheiten<lb/>
und Kostbarkeiten der drei Reiche verehren, und wir gewahren,<lb/>
dass diejenigen Länderräume, die durch den Besitz solcher Schätze<lb/>
begünstigt waren, früher als andere in den Kreis einer höheren<lb/>
Gesittung hineingezogen wurden, so dass der Ortsbewegung der<lb/>
Cultur dadurch vielfach ihre Bahnen vorgeschrieben worden sind.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0244] Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. tannien eine viel höhere gesellschaftliche Entwicklung aufwiesen als unsere eigenen Vorfahren zu Cäsars Zeiten. Die Römer fanden bei den alten Briten schon eine sehr durchgebildete Landwirth- schaft, bei welcher zur Steigerung der Felderträge bereits ein mi- neralisches Düngemittel, nämlich der Mergel, mit Nutzen ange- wendet wurde, auch bedienten sich die Britannier im Gefechte künstlicher Kriegswerkzeuge eigener Erfindung, nämlich der Sichel- wagen. Der Besitz einer so unersetzlichen und so gesuchten Ri- messe, wie das Zinn in der Bronzezeit es war, an sich schon ein Förderungsmittel der Gesittung, näherte sie durch den Handel frühzeitig den Mittelmeervölkern und trug zur beschleunigten Reife ihrer Zustände bei. Etwas ähnliches besassen die Uferbewohner der Nordsee und noch mehr der Ostsee in dem Bernstein. Der Bernstein muss frühzeitig die Ufer des Mittelmeeres erreicht haben, wenn er auch anfänglich nur von Horde zu Horde ausgetauscht wurde. Hätten die Römer sich nicht als Eroberer schon an den Mündungen der Weser und Ems gezeigt, und hätte nicht Drusus schon seine Schiffe bis zur Nordspitze von Jütland vordringen lassen, gewiss würde der Bernstein allein die Mittelmeercultur nach dem Norden zu ziehen vermocht haben, unternahm doch zu Nero’s Zeiten (56 n. Chr.) ein römischer Ritter als Festlandsentdecker eine Reise über die Kar- pathen bis zu den Bernsteinländern Ostpreussens, und kehrte mit einer Ladung jener geschätzten Fosilien nach der Hauptstadt des Erdkreises zurück. Dem Bernstein verdanken wir ganz sicherlich die Wahrzeichen einer vorzeitigen Cultur an dem Gestade der Ostsee, denn in Beziehung zu ihm stehen die zahlreichen Funde von griechischen und römischen Münzen, sowie von Bronzearbeiten an den baltischen Küsten, und jene Metallgeräthe dienten wahr- scheinlich den einheimischen Künstlern als Vorbilder und Muster, so dass es dem Bernstein vielleicht zugeschrieben werden darf, dass im Norden Europas das Bronzealter eine erfreuliche Reife zeigt. Wir lernen also als Verbreitungsmittel der menschlichen Ge- sittung und als Lockmittel für Völkerwanderungen die Seltenheiten und Kostbarkeiten der drei Reiche verehren, und wir gewahren, dass diejenigen Länderräume, die durch den Besitz solcher Schätze begünstigt waren, früher als andere in den Kreis einer höheren Gesittung hineingezogen wurden, so dass der Ortsbewegung der Cultur dadurch vielfach ihre Bahnen vorgeschrieben worden sind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/244
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/244>, abgerufen am 22.12.2024.