Sehr unglaubwürdig wird die Annahme eheloser Vorzeiten des Menschengeschlechtes, insofern wir schon bei Thieren eine strenge Paarung finden, nämlich bei Affen1), bei Raubthieren, Hufthieren, Wiederkäuern, bei Sing-, Hühner- und Raubvögeln. Auch Charles Darwin hat die Wahrscheinlichkeit einer Frauen- gemeinschaft bei den vorgeschichtlichen Menschen aus dem Grunde bestritten, dass die Männchen vieler Säugethiere sehr eifersüchtig und mit Waffen zum Kampfe um die Weibchen ausgerüstet sind. Gerade die Vedda auf Ceylon, bei denen wir noch die meisten Reste der Urzeit anzutreffen hoffen dürften, führen, wie wir sahen, das schöne Sprüchwort im Munde, nur der Tod vermöge Mann und Weib zu scheiden2). Da ferner die Jagd, die ursprünglichste Art des Nahrungserwerbes, nur ausnahmsweise von Frauen be- trieben wird3), so lag darin ein Zwang, dass die Aufzucht von Kindern nur glückte, wo Vater und Mutter sie in den zarten Jahren ernährten. Ist es doch eine bekannte statistische Thatsache, dass auch in der modernen Gesellschaft die Sterblichkeit unehe- licher Kinder, für welche nur eine Mutter und diese nicht genü- gend sorgen kann, eine vielfach vergrösserte ist, als die der ehe- lichen, welche in einem Elternhause auferzogen werden.
Neuerdings hat indessen ein transatlantischer Gelehrter Lewis Morgan eine höchst verdienstvolle Arbeit über die Verwandt- schaftsbestimmungen bei verschiedenen Völkern veröffentlicht, die sich auf den Thatbestand aus nicht weniger als 139 Sprachen meistens amerikanischer, aber auch asiatischer, malayischer und europäischer, stützt4). Durch diese neuen Hilfsmittel der Wissen- schaft glaubt Morgan auch den Schleier von dem Geschlechtsleben in der grauen Vorzeit ein wenig heben zu können. Bei allen mongolen-ähnlichen Völkern Asiens, bei den Dravida in
1) Lieutn. C. de Crespigny stiess zwischen dem Padass und Papar im nördlichen Borneo auf eine Familie von Mias (Orang utang), bestehend aus dem Männchen, dem Weibchen, einem grösseren und einem kleinen Jungen. Ihr Bündniss musste also schon längere Zeit bestanden haben. Proceedings of the R. Geogr. Soc. 22. Jan. 1872. vol. XVI. No. 3. S. 177.
2)Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 2. S. 318--319.
3) z. B. von den Koluschen an der Küste des ehemals russischen Ame- rika. v. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 2. S. 113.
4) Systems of Consanguinity and Affinity in the Human Family. Was- hington. 1871.
Ehe und väterliche Gewalt.
Sehr unglaubwürdig wird die Annahme eheloser Vorzeiten des Menschengeschlechtes, insofern wir schon bei Thieren eine strenge Paarung finden, nämlich bei Affen1), bei Raubthieren, Hufthieren, Wiederkäuern, bei Sing-, Hühner- und Raubvögeln. Auch Charles Darwin hat die Wahrscheinlichkeit einer Frauen- gemeinschaft bei den vorgeschichtlichen Menschen aus dem Grunde bestritten, dass die Männchen vieler Säugethiere sehr eifersüchtig und mit Waffen zum Kampfe um die Weibchen ausgerüstet sind. Gerade die Vedda auf Ceylon, bei denen wir noch die meisten Reste der Urzeit anzutreffen hoffen dürften, führen, wie wir sahen, das schöne Sprüchwort im Munde, nur der Tod vermöge Mann und Weib zu scheiden2). Da ferner die Jagd, die ursprünglichste Art des Nahrungserwerbes, nur ausnahmsweise von Frauen be- trieben wird3), so lag darin ein Zwang, dass die Aufzucht von Kindern nur glückte, wo Vater und Mutter sie in den zarten Jahren ernährten. Ist es doch eine bekannte statistische Thatsache, dass auch in der modernen Gesellschaft die Sterblichkeit unehe- licher Kinder, für welche nur eine Mutter und diese nicht genü- gend sorgen kann, eine vielfach vergrösserte ist, als die der ehe- lichen, welche in einem Elternhause auferzogen werden.
Neuerdings hat indessen ein transatlantischer Gelehrter Lewis Morgan eine höchst verdienstvolle Arbeit über die Verwandt- schaftsbestimmungen bei verschiedenen Völkern veröffentlicht, die sich auf den Thatbestand aus nicht weniger als 139 Sprachen meistens amerikanischer, aber auch asiatischer, malayischer und europäischer, stützt4). Durch diese neuen Hilfsmittel der Wissen- schaft glaubt Morgan auch den Schleier von dem Geschlechtsleben in der grauen Vorzeit ein wenig heben zu können. Bei allen mongolen-ähnlichen Völkern Asiens, bei den Dravida in
1) Lieutn. C. de Crespigny stiess zwischen dem Padass und Papar im nördlichen Borneo auf eine Familie von Mias (Orang utang), bestehend aus dem Männchen, dem Weibchen, einem grösseren und einem kleinen Jungen. Ihr Bündniss musste also schon längere Zeit bestanden haben. Proceedings of the R. Geogr. Soc. 22. Jan. 1872. vol. XVI. No. 3. S. 177.
2)Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 2. S. 318—319.
3) z. B. von den Koluschen an der Küste des ehemals russischen Ame- rika. v. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 2. S. 113.
4) Systems of Consanguinity and Affinity in the Human Family. Was- hington. 1871.
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Ehe und väterliche Gewalt.
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des Menschengeschlechtes, insofern wir schon bei Thieren eine
strenge Paarung finden, nämlich bei Affen 1), bei Raubthieren,
Hufthieren, Wiederkäuern, bei Sing-, Hühner- und Raubvögeln.
Auch Charles Darwin hat die Wahrscheinlichkeit einer Frauen-
gemeinschaft bei den vorgeschichtlichen Menschen aus dem Grunde
bestritten, dass die Männchen vieler Säugethiere sehr eifersüchtig
und mit Waffen zum Kampfe um die Weibchen ausgerüstet sind.
Gerade die Vedda auf Ceylon, bei denen wir noch die meisten
Reste der Urzeit anzutreffen hoffen dürften, führen, wie wir sahen,
das schöne Sprüchwort im Munde, nur der Tod vermöge Mann
und Weib zu scheiden 2). Da ferner die Jagd, die ursprünglichste
Art des Nahrungserwerbes, nur ausnahmsweise von Frauen be-
trieben wird 3), so lag darin ein Zwang, dass die Aufzucht von
Kindern nur glückte, wo Vater und Mutter sie in den zarten
Jahren ernährten. Ist es doch eine bekannte statistische Thatsache,
dass auch in der modernen Gesellschaft die Sterblichkeit unehe-
licher Kinder, für welche nur eine Mutter und diese nicht genü-
gend sorgen kann, eine vielfach vergrösserte ist, als die der ehe-
lichen, welche in einem Elternhause auferzogen werden.
Neuerdings hat indessen ein transatlantischer Gelehrter Lewis
Morgan eine höchst verdienstvolle Arbeit über die Verwandt-
schaftsbestimmungen bei verschiedenen Völkern veröffentlicht, die
sich auf den Thatbestand aus nicht weniger als 139 Sprachen
meistens amerikanischer, aber auch asiatischer, malayischer und
europäischer, stützt 4). Durch diese neuen Hilfsmittel der Wissen-
schaft glaubt Morgan auch den Schleier von dem Geschlechtsleben
in der grauen Vorzeit ein wenig heben zu können. Bei
allen mongolen-ähnlichen Völkern Asiens, bei den Dravida in
1) Lieutn. C. de Crespigny stiess zwischen dem Padass und Papar im
nördlichen Borneo auf eine Familie von Mias (Orang utang), bestehend aus
dem Männchen, dem Weibchen, einem grösseren und einem kleinen Jungen.
Ihr Bündniss musste also schon längere Zeit bestanden haben. Proceedings
of the R. Geogr. Soc. 22. Jan. 1872. vol. XVI. No. 3. S. 177.
2) Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 2. S. 318—319.
3) z. B. von den Koluschen an der Küste des ehemals russischen Ame-
rika. v. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 2. S. 113.
4) Systems of Consanguinity and Affinity in the Human Family. Was-
hington. 1871.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/257>, abgerufen am 15.08.2024.
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