Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. die Gottheit sittlich zu verherrlichen strebt, arbeitet der Religions-trieb an der Läuterung der menschlichen Gesellschaft. Erweitern wir den Begriff des Fetisch auf alle sichtbaren Gegenstände, so verspricht unter allen Fetischen die Sonne, als Sinnbild alles Reinen und Klaren die Würde des menschlichen Verkehrs am kräftigsten zu heben. Wir denken dabei vorzüglich an die Herrschaft der peruanischen Inca, die sich eine Abstammung von dem Tages- gestirn beilegten und durch Eroberungen ihre strengen Staats- gesetze und eine achtungswürdige Halbcultur von Quito bis nach Chile ausgedehnt haben. Aber schon der Apatsche zeigt auf die Sonne und spricht zu dem weissen Manne: "Glaubst Du nicht, dass diese Gottheit sieht was wir thun und uns bestraft, wenn es böse ist?"1) Eine Huronenfrau, die aus dem Munde eines christlichen Priesters die Vollkommenheiten Gottes hatte preisen hören, brach in die Worte aus: "Immer hatte ich im Stillen gedacht, dass unser Areskui (womit sie die Sonne und den grossen Geist bezeichnete) so sein sollte, wie Du Gott geschildert hast2)". Die Sonne ist nicht bloss ein sichtbarer Gegenstand, sondern 1) Froebel bei Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 1. S. 286. 2) Lafitau, Moeurs des sauvages ameriquains. tom. I. p. 127.
Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. die Gottheit sittlich zu verherrlichen strebt, arbeitet der Religions-trieb an der Läuterung der menschlichen Gesellschaft. Erweitern wir den Begriff des Fetisch auf alle sichtbaren Gegenstände, so verspricht unter allen Fetischen die Sonne, als Sinnbild alles Reinen und Klaren die Würde des menschlichen Verkehrs am kräftigsten zu heben. Wir denken dabei vorzüglich an die Herrschaft der peruanischen Inca, die sich eine Abstammung von dem Tages- gestirn beilegten und durch Eroberungen ihre strengen Staats- gesetze und eine achtungswürdige Halbcultur von Quito bis nach Chile ausgedehnt haben. Aber schon der Apatsche zeigt auf die Sonne und spricht zu dem weissen Manne: „Glaubst Du nicht, dass diese Gottheit sieht was wir thun und uns bestraft, wenn es böse ist?“1) Eine Huronenfrau, die aus dem Munde eines christlichen Priesters die Vollkommenheiten Gottes hatte preisen hören, brach in die Worte aus: „Immer hatte ich im Stillen gedacht, dass unser Areskui (womit sie die Sonne und den grossen Geist bezeichnete) so sein sollte, wie Du Gott geschildert hast2)“. Die Sonne ist nicht bloss ein sichtbarer Gegenstand, sondern 1) Froebel bei Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 1. S. 286. 2) Lafitau, Moeurs des sauvages amériquains. tom. I. p. 127.
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Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
die Gottheit sittlich zu verherrlichen strebt, arbeitet der Religions-
trieb an der Läuterung der menschlichen Gesellschaft. Erweitern
wir den Begriff des Fetisch auf alle sichtbaren Gegenstände, so
verspricht unter allen Fetischen die Sonne, als Sinnbild alles Reinen
und Klaren die Würde des menschlichen Verkehrs am kräftigsten
zu heben. Wir denken dabei vorzüglich an die Herrschaft der
peruanischen Inca, die sich eine Abstammung von dem Tages-
gestirn beilegten und durch Eroberungen ihre strengen Staats-
gesetze und eine achtungswürdige Halbcultur von Quito bis nach
Chile ausgedehnt haben. Aber schon der Apatsche zeigt auf die
Sonne und spricht zu dem weissen Manne: „Glaubst Du nicht, dass
diese Gottheit sieht was wir thun und uns bestraft, wenn es böse
ist?“ 1) Eine Huronenfrau, die aus dem Munde eines christlichen
Priesters die Vollkommenheiten Gottes hatte preisen hören, brach
in die Worte aus: „Immer hatte ich im Stillen gedacht, dass unser
Areskui (womit sie die Sonne und den grossen Geist bezeichnete)
so sein sollte, wie Du Gott geschildert hast 2)“.
Die Sonne ist nicht bloss ein sichtbarer Gegenstand, sondern
auch der Sitz von Naturkräften und daher führt der Sonnen-
dienst hinüber zur Anbetung von Erscheinungen, die nicht mehr
unmittelbar wahrgenommen, sondern nur an ihren Wirkungen
erkannt werden konnten. Dieses Fortrücken des Causalitäts-
dranges bezeichnet einen grossen und erfreulichen Entwicklungs-
abschnitt bei jedem Volke, das ihn erreichte. Den Verehrern
von Bäumen konnte auf die Dauer nicht die Erfahrung erspart
bleiben, dass Alterserschöpfung oder vor dieser die Verheerung
durch holzzehrende Parasiten oder ein Wetterstrahl den Pflanzen-
gott vernichtete. Im letzteren Falle namentlich musste man sich
eingestehen, dass über geringeren und vergänglichen noch höhere
Mächte walteten. Völker, die Naturkräfte verehren, müssen aber
schon desswegen eine grössere geistige Reife erlangt haben, weil
nur solche Erscheinungen in der Körperwelt auf göttliche Thätig-
keiten zurückgeführt werden, deren natürliche Ursachen zu er-
gründen dem menschlichen Verstande nicht gelungen war. Es
musste also der Versuch einer Erklärung vorausgegangen sein,
während gedankenlose Gemüther überhaupt nicht auf solche Unter-
1) Froebel bei Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 1. S. 286.
2) Lafitau, Moeurs des sauvages amériquains. tom. I. p. 127.
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