Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Schamanismus.

Am schwersten leiden unter der schamanistischen Geistes-
krankheit die südafrikanischen Bantu-Völker. So oft ein Todesfall
eingetreten ist, wird der Mganga oder Ortsschamane nach dem
Urheber befragt. Ihm nämlich wird ein höheres Wissen zuge-
traut, wie denn alle Zeichendeuterei, alles Orakelwesen, auch das
Geisterklopfen unserer Tage zum Wahne des Schamanismus ge-
rechnet werden müssen. Bezeichnet der Seher einen Verdächtigen,
so wird ein gottesgerichtliches Verfahren eingeleitet. Hier begegnen
wir zugleich einer neuen Seite des Zauberwesens, denn der Glaube
an gottesgerichtliche Wahrsprüche beruht auf dem Irrthum, dass
eine unsichtbar ordnende Macht, kunstgerecht befragt, untrügliche
Bescheide ertheilen müsse. Das Gottesgericht ist aber noch gegen-
wärtig in Indien bei Dravida-Stämmen 1) wie bei brahmanischen
Hindu verbreitet, ebenso in Süd-Arabien 2) und war auch bei
unseren deutschen Vorfahren noch lange nach der christlichen
Zeit, die Wasserprobe bei Hexenverfolgungen sogar bis ins 16.
und 17. Jahrhundert in Gebrauch, ja Jacob Grimm will noch die
letzten Spuren dieses Wahns in dem modernen Duell erkennen 3).
Auch die Papuanen Neu-Guineas glauben die Schuld oder Un-
schuld eines Angeklagten durch Untertauchen ermitteln zu können 4)
und desselben Verfahrens bedienen sich die Neger der Goldküste 5).
Sonst wird das Gottesgericht in Südafrika, wo es sich von den at-
lantischen Stämmen bis zu den Masai erstreckt, vorzugsweise durch
Ausleerung eines Bechers mit Mbundu-Saft vollzogen. Erbricht
der Angeschuldigte nicht rasch den Gifttrank, so ist seine Schuld
erwiesen. Als im Jahre 1865 am Rembo in Mayolo (2° südl. Br.,
11° östl. L. Greenw.) die Blattern ausbrachen, fielen bei Du Chaillu's
Anwesenheit durch das gottesgerichtliche Verfahren zu den Opfern
der Seuche auch die Opfer des schamanistischen Truges 6).

Gerichtsscenen mit Folterungen von Verdächtigen unter den
Amakhosakafirn werden bei Maclean 7) sehr ergreifend geschildert. Der

1) Jellinghaus in der Zeitschr. für Ethnologie. Bd. 3. Berlin. 1871.
S. 337.
2) v. Maltzan im Globus. Bd. 21. 1872. No. 10. S. 139.
3) Deutsche Rechtsalterthümer. S. 925--927.
4) Bosman, Guinese Goud-Kust. Utrecht. 1704. tom I. p. 137.
5) Otto Finsch, Neu-Guinea. S. 113.
6) Du Chaillu, Ashango-Land. p. 173--177.
7) Kafir laws and customs. Mount Coke. 1858. p. 89--92.
Der Schamanismus.

Am schwersten leiden unter der schamanistischen Geistes-
krankheit die südafrikanischen Bantu-Völker. So oft ein Todesfall
eingetreten ist, wird der Mganga oder Ortsschamane nach dem
Urheber befragt. Ihm nämlich wird ein höheres Wissen zuge-
traut, wie denn alle Zeichendeuterei, alles Orakelwesen, auch das
Geisterklopfen unserer Tage zum Wahne des Schamanismus ge-
rechnet werden müssen. Bezeichnet der Seher einen Verdächtigen,
so wird ein gottesgerichtliches Verfahren eingeleitet. Hier begegnen
wir zugleich einer neuen Seite des Zauberwesens, denn der Glaube
an gottesgerichtliche Wahrsprüche beruht auf dem Irrthum, dass
eine unsichtbar ordnende Macht, kunstgerecht befragt, untrügliche
Bescheide ertheilen müsse. Das Gottesgericht ist aber noch gegen-
wärtig in Indien bei Dravida-Stämmen 1) wie bei brahmanischen
Hindu verbreitet, ebenso in Süd-Arabien 2) und war auch bei
unseren deutschen Vorfahren noch lange nach der christlichen
Zeit, die Wasserprobe bei Hexenverfolgungen sogar bis ins 16.
und 17. Jahrhundert in Gebrauch, ja Jacob Grimm will noch die
letzten Spuren dieses Wahns in dem modernen Duell erkennen 3).
Auch die Papuanen Neu-Guineas glauben die Schuld oder Un-
schuld eines Angeklagten durch Untertauchen ermitteln zu können 4)
und desselben Verfahrens bedienen sich die Neger der Goldküste 5).
Sonst wird das Gottesgericht in Südafrika, wo es sich von den at-
lantischen Stämmen bis zu den Masai erstreckt, vorzugsweise durch
Ausleerung eines Bechers mit Mbundu-Saft vollzogen. Erbricht
der Angeschuldigte nicht rasch den Gifttrank, so ist seine Schuld
erwiesen. Als im Jahre 1865 am Rembo in Mayolo (2° südl. Br.,
11° östl. L. Greenw.) die Blattern ausbrachen, fielen bei Du Chaillu’s
Anwesenheit durch das gottesgerichtliche Verfahren zu den Opfern
der Seuche auch die Opfer des schamanistischen Truges 6).

Gerichtsscenen mit Folterungen von Verdächtigen unter den
Amaχosakafirn werden bei Maclean 7) sehr ergreifend geschildert. Der

1) Jellinghaus in der Zeitschr. für Ethnologie. Bd. 3. Berlin. 1871.
S. 337.
2) v. Maltzan im Globus. Bd. 21. 1872. No. 10. S. 139.
3) Deutsche Rechtsalterthümer. S. 925—927.
4) Bosman, Guinese Goud-Kust. Utrecht. 1704. tom I. p. 137.
5) Otto Finsch, Neu-Guinea. S. 113.
6) Du Chaillu, Ashango-Land. p. 173—177.
7) Kafir laws and customs. Mount Coke. 1858. p. 89—92.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0297" n="279"/>
          <fw place="top" type="header">Der Schamanismus.</fw><lb/>
          <p>Am schwersten leiden unter der schamanistischen Geistes-<lb/>
krankheit die südafrikanischen Bantu-Völker. So oft ein Todesfall<lb/>
eingetreten ist, wird der Mganga oder Ortsschamane nach dem<lb/>
Urheber befragt. Ihm nämlich wird ein höheres Wissen zuge-<lb/>
traut, wie denn alle Zeichendeuterei, alles Orakelwesen, auch das<lb/>
Geisterklopfen unserer Tage zum Wahne des Schamanismus ge-<lb/>
rechnet werden müssen. Bezeichnet der Seher einen Verdächtigen,<lb/>
so wird ein gottesgerichtliches Verfahren eingeleitet. Hier begegnen<lb/>
wir zugleich einer neuen Seite des Zauberwesens, denn der Glaube<lb/>
an gottesgerichtliche Wahrsprüche beruht auf dem Irrthum, dass<lb/>
eine unsichtbar ordnende Macht, kunstgerecht befragt, untrügliche<lb/>
Bescheide ertheilen müsse. Das Gottesgericht ist aber noch gegen-<lb/>
wärtig in Indien bei Dravida-Stämmen <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Jellinghaus</hi> in der Zeitschr. für Ethnologie. Bd. 3. Berlin. 1871.<lb/>
S. 337.</note> wie bei brahmanischen<lb/>
Hindu verbreitet, ebenso in Süd-Arabien <note place="foot" n="2)">v. <hi rendition="#g">Maltzan</hi> im Globus. Bd. 21. 1872. No. 10. S. 139.</note> und war auch bei<lb/>
unseren deutschen Vorfahren noch lange nach der christlichen<lb/>
Zeit, die Wasserprobe bei Hexenverfolgungen sogar bis ins 16.<lb/>
und 17. Jahrhundert in Gebrauch, ja Jacob Grimm will noch die<lb/>
letzten Spuren dieses Wahns in dem modernen Duell erkennen <note place="foot" n="3)">Deutsche Rechtsalterthümer. S. 925&#x2014;927.</note>.<lb/>
Auch die Papuanen Neu-Guineas glauben die Schuld oder Un-<lb/>
schuld eines Angeklagten durch Untertauchen ermitteln zu können <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#g">Bosman,</hi> Guinese Goud-Kust. Utrecht. 1704. tom I. p. 137.</note><lb/>
und desselben Verfahrens bedienen sich die Neger der Goldküste <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#g">Otto Finsch,</hi> Neu-Guinea. S. 113.</note>.<lb/>
Sonst wird das Gottesgericht in Südafrika, wo es sich von den at-<lb/>
lantischen Stämmen bis zu den Masai erstreckt, vorzugsweise durch<lb/>
Ausleerung eines Bechers mit Mbundu-Saft vollzogen. Erbricht<lb/>
der Angeschuldigte nicht rasch den Gifttrank, so ist seine Schuld<lb/>
erwiesen. Als im Jahre 1865 am Rembo in Mayolo (2° südl. Br.,<lb/>
11° östl. L. Greenw.) die Blattern ausbrachen, fielen bei Du Chaillu&#x2019;s<lb/>
Anwesenheit durch das gottesgerichtliche Verfahren zu den Opfern<lb/>
der Seuche auch die Opfer des schamanistischen Truges <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#g">Du Chaillu,</hi> Ashango-Land. p. 173&#x2014;177.</note>.</p><lb/>
          <p>Gerichtsscenen mit Folterungen von Verdächtigen unter den<lb/>
Ama&#x03C7;osakafirn werden bei Maclean <note place="foot" n="7)">Kafir laws and customs. Mount Coke. 1858. p. 89&#x2014;92.</note> sehr ergreifend geschildert. Der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0297] Der Schamanismus. Am schwersten leiden unter der schamanistischen Geistes- krankheit die südafrikanischen Bantu-Völker. So oft ein Todesfall eingetreten ist, wird der Mganga oder Ortsschamane nach dem Urheber befragt. Ihm nämlich wird ein höheres Wissen zuge- traut, wie denn alle Zeichendeuterei, alles Orakelwesen, auch das Geisterklopfen unserer Tage zum Wahne des Schamanismus ge- rechnet werden müssen. Bezeichnet der Seher einen Verdächtigen, so wird ein gottesgerichtliches Verfahren eingeleitet. Hier begegnen wir zugleich einer neuen Seite des Zauberwesens, denn der Glaube an gottesgerichtliche Wahrsprüche beruht auf dem Irrthum, dass eine unsichtbar ordnende Macht, kunstgerecht befragt, untrügliche Bescheide ertheilen müsse. Das Gottesgericht ist aber noch gegen- wärtig in Indien bei Dravida-Stämmen 1) wie bei brahmanischen Hindu verbreitet, ebenso in Süd-Arabien 2) und war auch bei unseren deutschen Vorfahren noch lange nach der christlichen Zeit, die Wasserprobe bei Hexenverfolgungen sogar bis ins 16. und 17. Jahrhundert in Gebrauch, ja Jacob Grimm will noch die letzten Spuren dieses Wahns in dem modernen Duell erkennen 3). Auch die Papuanen Neu-Guineas glauben die Schuld oder Un- schuld eines Angeklagten durch Untertauchen ermitteln zu können 4) und desselben Verfahrens bedienen sich die Neger der Goldküste 5). Sonst wird das Gottesgericht in Südafrika, wo es sich von den at- lantischen Stämmen bis zu den Masai erstreckt, vorzugsweise durch Ausleerung eines Bechers mit Mbundu-Saft vollzogen. Erbricht der Angeschuldigte nicht rasch den Gifttrank, so ist seine Schuld erwiesen. Als im Jahre 1865 am Rembo in Mayolo (2° südl. Br., 11° östl. L. Greenw.) die Blattern ausbrachen, fielen bei Du Chaillu’s Anwesenheit durch das gottesgerichtliche Verfahren zu den Opfern der Seuche auch die Opfer des schamanistischen Truges 6). Gerichtsscenen mit Folterungen von Verdächtigen unter den Amaχosakafirn werden bei Maclean 7) sehr ergreifend geschildert. Der 1) Jellinghaus in der Zeitschr. für Ethnologie. Bd. 3. Berlin. 1871. S. 337. 2) v. Maltzan im Globus. Bd. 21. 1872. No. 10. S. 139. 3) Deutsche Rechtsalterthümer. S. 925—927. 4) Bosman, Guinese Goud-Kust. Utrecht. 1704. tom I. p. 137. 5) Otto Finsch, Neu-Guinea. S. 113. 6) Du Chaillu, Ashango-Land. p. 173—177. 7) Kafir laws and customs. Mount Coke. 1858. p. 89—92.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/297
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/297>, abgerufen am 23.12.2024.