Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Arteneinheit des Menschengeschlechtes. hinaus, denn nicht die Häufigkeit bestimmter Merkmale wird fest-gestellt, sondern als Vertreter eines Typus, wird unter sehr Vielen derjenige herausgesucht, welcher am schärfsten sich von den Glie- dern anderer Menschenstämme absondert. So trägt der deutsche Reisende, ehe er die Alpen überschreitet, eine bestimmte Vorstel- lung vom italienischen Gesichtsschnitt und Körperwuchs in sich. Er erwartet in Neapel überall Männern zu begegnen, denen er nur eine phrygische Mütze aufzusetzen braucht, um in ihnen bekannte Operngestalten wieder zu erkennen oder er denkt einem jeden Mädchen dürfe man nur einen silbernen Teller mit einem abge- schlagnen Männerhaupt in den Arm geben, um sie in eine Judith zu verwandeln. Die Enttäuschung lässt nicht warten und zuletzt gesteht sich der Hintergangene, dass das, was er als italienischen Typus sich vorgebildet hatte, nur an der spanischen Treppe in Rom herumlagert, wo die unter Tausenden herausgemusterten Modelle sich dem Künstler feilbieten. In der Heimath geht es nicht besser. Sehen wir ein Kind mit zarter Haut und Rosenschimmer, hellblonden Flechten und blauen verschämten Augen, so freuen wir uns über eine solche echt deutsche Jungfrau ohne zu bedenken, dass wir neben ihr tausend andere damit für unecht, das heisst für racelos erklären. In unsern Tagen ist die bisher giltige Vorstellung von der Hunter 7, Agassiz 8, Pickering 11, Bory St. Vincent 15, Desmoulins 16,
Morton 22, Crawfurd 60 und Burke 63 Arten oder Racen an. Haeckel (Na- türliche Schöpfungsgeschichte 2. Aufl. S. 604) und Friedr. Müller (Anthro- pol. Thl. III der Novara Reise 1. Karte) begnügen sich mit zwölf Arten und wir selbst sind zu sieben Abtheilungen geführt worden. Arteneinheit des Menschengeschlechtes. hinaus, denn nicht die Häufigkeit bestimmter Merkmale wird fest-gestellt, sondern als Vertreter eines Typus, wird unter sehr Vielen derjenige herausgesucht, welcher am schärfsten sich von den Glie- dern anderer Menschenstämme absondert. So trägt der deutsche Reisende, ehe er die Alpen überschreitet, eine bestimmte Vorstel- lung vom italienischen Gesichtsschnitt und Körperwuchs in sich. Er erwartet in Neapel überall Männern zu begegnen, denen er nur eine phrygische Mütze aufzusetzen braucht, um in ihnen bekannte Operngestalten wieder zu erkennen oder er denkt einem jeden Mädchen dürfe man nur einen silbernen Teller mit einem abge- schlagnen Männerhaupt in den Arm geben, um sie in eine Judith zu verwandeln. Die Enttäuschung lässt nicht warten und zuletzt gesteht sich der Hintergangene, dass das, was er als italienischen Typus sich vorgebildet hatte, nur an der spanischen Treppe in Rom herumlagert, wo die unter Tausenden herausgemusterten Modelle sich dem Künstler feilbieten. In der Heimath geht es nicht besser. Sehen wir ein Kind mit zarter Haut und Rosenschimmer, hellblonden Flechten und blauen verschämten Augen, so freuen wir uns über eine solche echt deutsche Jungfrau ohne zu bedenken, dass wir neben ihr tausend andere damit für unecht, das heisst für racelos erklären. In unsern Tagen ist die bisher giltige Vorstellung von der Hunter 7, Agassiz 8, Pickering 11, Bory St. Vincent 15, Desmoulins 16,
Morton 22, Crawfurd 60 und Burke 63 Arten oder Racen an. Haeckel (Na- türliche Schöpfungsgeschichte 2. Aufl. S. 604) und Friedr. Müller (Anthro- pol. Thl. III der Novara Reise 1. Karte) begnügen sich mit zwölf Arten und wir selbst sind zu sieben Abtheilungen geführt worden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0033" n="15"/><fw place="top" type="header">Arteneinheit des Menschengeschlechtes.</fw><lb/> hinaus, denn nicht die Häufigkeit bestimmter Merkmale wird fest-<lb/> gestellt, sondern als Vertreter eines Typus, wird unter sehr Vielen<lb/> derjenige herausgesucht, welcher am schärfsten sich von den Glie-<lb/> dern anderer Menschenstämme absondert. So trägt der deutsche<lb/> Reisende, ehe er die Alpen überschreitet, eine bestimmte Vorstel-<lb/> lung vom italienischen Gesichtsschnitt und Körperwuchs in sich.<lb/> Er erwartet in Neapel überall Männern zu begegnen, denen er nur<lb/> eine phrygische Mütze aufzusetzen braucht, um in ihnen bekannte<lb/> Operngestalten wieder zu erkennen oder er denkt einem jeden<lb/> Mädchen dürfe man nur einen silbernen Teller mit einem abge-<lb/> schlagnen Männerhaupt in den Arm geben, um sie in eine Judith<lb/> zu verwandeln. Die Enttäuschung lässt nicht warten und zuletzt<lb/> gesteht sich der Hintergangene, dass das, was er als italienischen<lb/> Typus sich vorgebildet hatte, nur an der spanischen Treppe in Rom<lb/> herumlagert, wo die unter Tausenden herausgemusterten Modelle<lb/> sich dem Künstler feilbieten. In der Heimath geht es nicht besser.<lb/> Sehen wir ein Kind mit zarter Haut und Rosenschimmer, hellblonden<lb/> Flechten und blauen verschämten Augen, so freuen wir uns über<lb/> eine solche echt deutsche Jungfrau ohne zu bedenken, dass wir<lb/> neben ihr tausend andere damit für unecht, das heisst für racelos<lb/> erklären.</p><lb/> <p>In unsern Tagen ist die bisher giltige Vorstellung von der<lb/> Beharrlichkeit der Artenmerkmale tief erschüttert worden durch<lb/> Charles Darwin. Widerlegt waren schon vor ihm die Träumereien<lb/> der älteren Geologen, dass die Altersabschnitte der Erdrinde, welche<lb/> die Lehrbücher der Verständigung wegen aufzustellen genöthigt<lb/> sind, mit einer gänzlichen Vernichtung der belebten Schöpfung ge-<lb/> endigt hätten und dann durch einen Werderuf an ihre Stelle eine<lb/> neue Schöpfung getreten sei. Lautlos haben sich, so lange unser<lb/> Planet organisches Leben beherbergt, einzelne neue Trachten der<lb/> belebten Wesen unter die alten gemischt, lautlos sind andre ver-<lb/> schwunden, bis nach Ablauf gewisser Zeiträume andre, von den<lb/> älteren abweichende Arten sich zusammen fanden. Die Zeitfolge,<lb/> in welcher sich die verschiednen Trachten und Gestalten ablösten,<lb/><note xml:id="seg2pn_1_2" prev="#seg2pn_1_1" place="foot" n="6)">Hunter 7, Agassiz 8, Pickering 11, Bory St. Vincent 15, Desmoulins 16,<lb/> Morton 22, Crawfurd 60 und Burke 63 Arten oder Racen an. Haeckel (Na-<lb/> türliche Schöpfungsgeschichte 2. Aufl. S. 604) und Friedr. Müller (Anthro-<lb/> pol. Thl. III der Novara Reise 1. Karte) begnügen sich mit zwölf Arten<lb/> und wir selbst sind zu sieben Abtheilungen geführt worden.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0033]
Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
hinaus, denn nicht die Häufigkeit bestimmter Merkmale wird fest-
gestellt, sondern als Vertreter eines Typus, wird unter sehr Vielen
derjenige herausgesucht, welcher am schärfsten sich von den Glie-
dern anderer Menschenstämme absondert. So trägt der deutsche
Reisende, ehe er die Alpen überschreitet, eine bestimmte Vorstel-
lung vom italienischen Gesichtsschnitt und Körperwuchs in sich.
Er erwartet in Neapel überall Männern zu begegnen, denen er nur
eine phrygische Mütze aufzusetzen braucht, um in ihnen bekannte
Operngestalten wieder zu erkennen oder er denkt einem jeden
Mädchen dürfe man nur einen silbernen Teller mit einem abge-
schlagnen Männerhaupt in den Arm geben, um sie in eine Judith
zu verwandeln. Die Enttäuschung lässt nicht warten und zuletzt
gesteht sich der Hintergangene, dass das, was er als italienischen
Typus sich vorgebildet hatte, nur an der spanischen Treppe in Rom
herumlagert, wo die unter Tausenden herausgemusterten Modelle
sich dem Künstler feilbieten. In der Heimath geht es nicht besser.
Sehen wir ein Kind mit zarter Haut und Rosenschimmer, hellblonden
Flechten und blauen verschämten Augen, so freuen wir uns über
eine solche echt deutsche Jungfrau ohne zu bedenken, dass wir
neben ihr tausend andere damit für unecht, das heisst für racelos
erklären.
In unsern Tagen ist die bisher giltige Vorstellung von der
Beharrlichkeit der Artenmerkmale tief erschüttert worden durch
Charles Darwin. Widerlegt waren schon vor ihm die Träumereien
der älteren Geologen, dass die Altersabschnitte der Erdrinde, welche
die Lehrbücher der Verständigung wegen aufzustellen genöthigt
sind, mit einer gänzlichen Vernichtung der belebten Schöpfung ge-
endigt hätten und dann durch einen Werderuf an ihre Stelle eine
neue Schöpfung getreten sei. Lautlos haben sich, so lange unser
Planet organisches Leben beherbergt, einzelne neue Trachten der
belebten Wesen unter die alten gemischt, lautlos sind andre ver-
schwunden, bis nach Ablauf gewisser Zeiträume andre, von den
älteren abweichende Arten sich zusammen fanden. Die Zeitfolge,
in welcher sich die verschiednen Trachten und Gestalten ablösten,
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6) Hunter 7, Agassiz 8, Pickering 11, Bory St. Vincent 15, Desmoulins 16,
Morton 22, Crawfurd 60 und Burke 63 Arten oder Racen an. Haeckel (Na-
türliche Schöpfungsgeschichte 2. Aufl. S. 604) und Friedr. Müller (Anthro-
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