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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
das Bebrüten erschweren. So steht denn gerade der neue Kern
der Darwinschen Lehre, nämlich die Zuchtwahl, noch unbeglaubigt
uns gegenüber, ja der Meister selbst hat, wahrheitliebend, wie er
sich stets zeigt, in Bezug auf die Einwürfe Nägelis und Brocas
offen gestanden, dass er in den früheren Ausgaben seiner Ent-
stehung der Arten, wahrscheinlich der Wirkung der natürlichen
Zuchtwahl oder dem Überleben der Passendsten zu viel zuge-
schrieben habe 1). Verstattet sei es uns noch hinzuzufügen, dass
die ältere Geschichte der belebten Schöpfung Fälle kennt, wo das
Aussterben von Thierfamilien durch eine tiefgreifende Änderung
ihres Baues eingeleitet wird, die, so weit überhaupt bei fossilen
Erscheinungen solche Schlüsse berechtigt sind, ihnen schädlich ge-
wesen sein muss. Die Ammoniten, die in der Kreidezeit aus-
sterben sollten, beginnen vorher in sogenannte Krüppelformen über-
zugehen. Ihre ursprünglich zur Spirale in einer Ebene einge-
wickelten Gehäuse winden sich später spiralig im Raume, strecken
sich gradlinig, krümmen sich bogen-, haken- oder krumstabähnlich
oder ziehen sich wenigstens so auseinander, dass ihre einzelnen
Umgänge sich nicht mehr berühren 2). Auf dieses Verlassen des
alten Typus erfolgte aber das gänzliche Aussterben dieser Familie.

Das Darwinsche Dogma gilt uns gleichwohl zwar nicht als ein
gelungner, immerhin aber als der beste Versuch, den Zusammen-
hang der älteren mit der neueren Schöpfung zu erklären und es
wird sich nur durch eine befriedigendere Lösung wieder verdrängen
lassen. Es ist nicht recht verständlich wie fromme Gemüther durch
diese Lehre beunruhigt werden konnten, denn die Schöpfung ge-
winnt an Würde und Bedeutung, wenn sie die Kraft der Erneuerung
und der Entwicklung des Vollkommeneren in sich selbst trägt.
Gläubige Christen wollen wir an die Gefahr erinnern, deren sie
sich bei Schmähung eines so hoch geachteten Forschers wie Darwin
aussetzen. Als Copernicus mit seiner noch schwach begründeten
Lehre von der Planeteneigenschaft der Erde auftrat, ja selbst später
als das Fernrohr in der Sichelgestalt der Venus, sowie in der Ju-
piterswelt die sinnliche Ueberzeugung, und Kepler durch seine Ge-
setze die strengen Beweise von der Wahrheit der copernicanischen
Anschauung gewährt hatten, wurde dennoch nicht blos von der

1) Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 132.
2) Credner, Elemente der Geologie. 1. Aufl. S. 435.
2*

Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
das Bebrüten erschweren. So steht denn gerade der neue Kern
der Darwinschen Lehre, nämlich die Zuchtwahl, noch unbeglaubigt
uns gegenüber, ja der Meister selbst hat, wahrheitliebend, wie er
sich stets zeigt, in Bezug auf die Einwürfe Nägelis und Brocas
offen gestanden, dass er in den früheren Ausgaben seiner Ent-
stehung der Arten, wahrscheinlich der Wirkung der natürlichen
Zuchtwahl oder dem Überleben der Passendsten zu viel zuge-
schrieben habe 1). Verstattet sei es uns noch hinzuzufügen, dass
die ältere Geschichte der belebten Schöpfung Fälle kennt, wo das
Aussterben von Thierfamilien durch eine tiefgreifende Änderung
ihres Baues eingeleitet wird, die, so weit überhaupt bei fossilen
Erscheinungen solche Schlüsse berechtigt sind, ihnen schädlich ge-
wesen sein muss. Die Ammoniten, die in der Kreidezeit aus-
sterben sollten, beginnen vorher in sogenannte Krüppelformen über-
zugehen. Ihre ursprünglich zur Spirale in einer Ebene einge-
wickelten Gehäuse winden sich später spiralig im Raume, strecken
sich gradlinig, krümmen sich bogen-, haken- oder krumstabähnlich
oder ziehen sich wenigstens so auseinander, dass ihre einzelnen
Umgänge sich nicht mehr berühren 2). Auf dieses Verlassen des
alten Typus erfolgte aber das gänzliche Aussterben dieser Familie.

Das Darwinsche Dogma gilt uns gleichwohl zwar nicht als ein
gelungner, immerhin aber als der beste Versuch, den Zusammen-
hang der älteren mit der neueren Schöpfung zu erklären und es
wird sich nur durch eine befriedigendere Lösung wieder verdrängen
lassen. Es ist nicht recht verständlich wie fromme Gemüther durch
diese Lehre beunruhigt werden konnten, denn die Schöpfung ge-
winnt an Würde und Bedeutung, wenn sie die Kraft der Erneuerung
und der Entwicklung des Vollkommeneren in sich selbst trägt.
Gläubige Christen wollen wir an die Gefahr erinnern, deren sie
sich bei Schmähung eines so hoch geachteten Forschers wie Darwin
aussetzen. Als Copernicus mit seiner noch schwach begründeten
Lehre von der Planeteneigenschaft der Erde auftrat, ja selbst später
als das Fernrohr in der Sichelgestalt der Venus, sowie in der Ju-
piterswelt die sinnliche Ueberzeugung, und Kepler durch seine Ge-
setze die strengen Beweise von der Wahrheit der copernicanischen
Anschauung gewährt hatten, wurde dennoch nicht blos von der

1) Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 132.
2) Credner, Elemente der Geologie. 1. Aufl. S. 435.
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[19/0037] Arteneinheit des Menschengeschlechtes. das Bebrüten erschweren. So steht denn gerade der neue Kern der Darwinschen Lehre, nämlich die Zuchtwahl, noch unbeglaubigt uns gegenüber, ja der Meister selbst hat, wahrheitliebend, wie er sich stets zeigt, in Bezug auf die Einwürfe Nägelis und Brocas offen gestanden, dass er in den früheren Ausgaben seiner Ent- stehung der Arten, wahrscheinlich der Wirkung der natürlichen Zuchtwahl oder dem Überleben der Passendsten zu viel zuge- schrieben habe 1). Verstattet sei es uns noch hinzuzufügen, dass die ältere Geschichte der belebten Schöpfung Fälle kennt, wo das Aussterben von Thierfamilien durch eine tiefgreifende Änderung ihres Baues eingeleitet wird, die, so weit überhaupt bei fossilen Erscheinungen solche Schlüsse berechtigt sind, ihnen schädlich ge- wesen sein muss. Die Ammoniten, die in der Kreidezeit aus- sterben sollten, beginnen vorher in sogenannte Krüppelformen über- zugehen. Ihre ursprünglich zur Spirale in einer Ebene einge- wickelten Gehäuse winden sich später spiralig im Raume, strecken sich gradlinig, krümmen sich bogen-, haken- oder krumstabähnlich oder ziehen sich wenigstens so auseinander, dass ihre einzelnen Umgänge sich nicht mehr berühren 2). Auf dieses Verlassen des alten Typus erfolgte aber das gänzliche Aussterben dieser Familie. Das Darwinsche Dogma gilt uns gleichwohl zwar nicht als ein gelungner, immerhin aber als der beste Versuch, den Zusammen- hang der älteren mit der neueren Schöpfung zu erklären und es wird sich nur durch eine befriedigendere Lösung wieder verdrängen lassen. Es ist nicht recht verständlich wie fromme Gemüther durch diese Lehre beunruhigt werden konnten, denn die Schöpfung ge- winnt an Würde und Bedeutung, wenn sie die Kraft der Erneuerung und der Entwicklung des Vollkommeneren in sich selbst trägt. Gläubige Christen wollen wir an die Gefahr erinnern, deren sie sich bei Schmähung eines so hoch geachteten Forschers wie Darwin aussetzen. Als Copernicus mit seiner noch schwach begründeten Lehre von der Planeteneigenschaft der Erde auftrat, ja selbst später als das Fernrohr in der Sichelgestalt der Venus, sowie in der Ju- piterswelt die sinnliche Ueberzeugung, und Kepler durch seine Ge- setze die strengen Beweise von der Wahrheit der copernicanischen Anschauung gewährt hatten, wurde dennoch nicht blos von der 1) Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 132. 2) Credner, Elemente der Geologie. 1. Aufl. S. 435. 2*

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/37>, abgerufen am 27.04.2024.