Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
bieten, als wir erwarten sollten. Von der Abhärtung der Jakuten war bereits 1) die Rede gewesen. Der amerikanische Reisende Kennan schildert sie nicht nur als arbeitsame Leute, sondern er fügt noch hinzu, dass von allen Urbewohnern Sibiriens sie die einzigen sind, welche nicht zusammenschmelzen, sondern vielmehr an Kopfzahl wachsen. Auch war ihre Sprache, als Erman 2) in Sibirien weilte, von Irkutsk bis Ochotsk und vom Eismeer bis zur chinesischen Grenze die allgemeine Umgangssprache für Reisende und Kaufleute, für Russen, Tungusen und Burjäten geworden.
Der fünfte oben aufgezählte Zweig sind die Turkmanen in den Steppen und Wüsten östlich vom kaspischen Meere und süd- lich vom Aral-See, gefürchtete Menschenräuber, die, gut beritten, chorassanische Ortschaften zu überfallen, vordem auch auf Piraten- booten die Bewohner der Gestade von Mazenderan heimzusuchen pflegten, bis die Russen diesen schändlichen Erwerbszweig unter- drückten. Sie versorgten die Sklavenmärkte in Chiwa, Bochara und Kokand und förderten dadurch eine fortgesetzte Kreuzung des türkischen mit eranischem Blute. Diese hat wohl seit den ältesten Zeiten stattgefunden, denn als die türkischen Stämme sich Kaschgarien, Fergana und Charezm unterwarfen, fanden sie dort eine altpersische Städtebevölkerung, die Tadschik der heutigen Völkerkunde, die von früheren Reisenden auch Sarten geheissen wurden, während Robert Shaw vor einer solchen Verwechselung gewarnt hat. Die Sarten in Kaschgarien besitzen zwar alle Körper- merkmale einer eranischen Abkunft, aber sie reden türkisch. Schon früher und ganz unabhängig von Shaw hatte der deutsche Reisende H. v. Schlagintweit in den kaschgarischen Städtebewohnern das Gepräge der arischen Abkunft erkannt 3). Solche Fälle, dass nämlich Menschenstämme ihrer Sprache nach in eine andere Stellung gehören, als nach den Kennzeichen der Race, setzen die Völker- kunde in die nämliche Lage, in der sich die Mineralogie den pseudomorphischen Erscheinungen gegenüber befindet. Wird näm- lich ein Krystall von Sickerwasser aufgelöst und mitten aus dem Muttergestein hinweggeführt, so kann sich ein anderes Mineral in
1) S. oben S. 22.
2) Reise um die Erde. Berlin 1848. Bd. 3. S. 51.
3) H. v. Schlagintweit, Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 40. und R. Shaw, Reise nach der hohen Tatarei. Jena 1872. S. 17.
Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
bieten, als wir erwarten sollten. Von der Abhärtung der Jakuten war bereits 1) die Rede gewesen. Der amerikanische Reisende Kennan schildert sie nicht nur als arbeitsame Leute, sondern er fügt noch hinzu, dass von allen Urbewohnern Sibiriens sie die einzigen sind, welche nicht zusammenschmelzen, sondern vielmehr an Kopfzahl wachsen. Auch war ihre Sprache, als Erman 2) in Sibirien weilte, von Irkutsk bis Ochotsk und vom Eismeer bis zur chinesischen Grenze die allgemeine Umgangssprache für Reisende und Kaufleute, für Russen, Tungusen und Burjäten geworden.
Der fünfte oben aufgezählte Zweig sind die Turkmanen in den Steppen und Wüsten östlich vom kaspischen Meere und süd- lich vom Aral-See, gefürchtete Menschenräuber, die, gut beritten, chorassanische Ortschaften zu überfallen, vordem auch auf Piraten- booten die Bewohner der Gestade von Mazenderan heimzusuchen pflegten, bis die Russen diesen schändlichen Erwerbszweig unter- drückten. Sie versorgten die Sklavenmärkte in Chiwa, Bochara und Kokand und förderten dadurch eine fortgesetzte Kreuzung des türkischen mit erânischem Blute. Diese hat wohl seit den ältesten Zeiten stattgefunden, denn als die türkischen Stämme sich Kaschgarien, Fergana und Charezm unterwarfen, fanden sie dort eine altpersische Städtebevölkerung, die Tadschik der heutigen Völkerkunde, die von früheren Reisenden auch Sarten geheissen wurden, während Robert Shaw vor einer solchen Verwechselung gewarnt hat. Die Sarten in Kaschgarien besitzen zwar alle Körper- merkmale einer erânischen Abkunft, aber sie reden türkisch. Schon früher und ganz unabhängig von Shaw hatte der deutsche Reisende H. v. Schlagintweit in den kaschgarischen Städtebewohnern das Gepräge der arischen Abkunft erkannt 3). Solche Fälle, dass nämlich Menschenstämme ihrer Sprache nach in eine andere Stellung gehören, als nach den Kennzeichen der Race, setzen die Völker- kunde in die nämliche Lage, in der sich die Mineralogie den pseudomorphischen Erscheinungen gegenüber befindet. Wird näm- lich ein Krystall von Sickerwasser aufgelöst und mitten aus dem Muttergestein hinweggeführt, so kann sich ein anderes Mineral in
1) S. oben S. 22.
2) Reise um die Erde. Berlin 1848. Bd. 3. S. 51.
3) H. v. Schlagintweit, Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 40. und R. Shaw, Reise nach der hohen Tatarei. Jena 1872. S. 17.
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Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
bieten, als wir erwarten sollten. Von der Abhärtung der Jakuten
war bereits 1) die Rede gewesen. Der amerikanische Reisende
Kennan schildert sie nicht nur als arbeitsame Leute, sondern er
fügt noch hinzu, dass von allen Urbewohnern Sibiriens sie die
einzigen sind, welche nicht zusammenschmelzen, sondern vielmehr
an Kopfzahl wachsen. Auch war ihre Sprache, als Erman 2) in
Sibirien weilte, von Irkutsk bis Ochotsk und vom Eismeer bis zur
chinesischen Grenze die allgemeine Umgangssprache für Reisende
und Kaufleute, für Russen, Tungusen und Burjäten geworden.
Der fünfte oben aufgezählte Zweig sind die Turkmanen in
den Steppen und Wüsten östlich vom kaspischen Meere und süd-
lich vom Aral-See, gefürchtete Menschenräuber, die, gut beritten,
chorassanische Ortschaften zu überfallen, vordem auch auf Piraten-
booten die Bewohner der Gestade von Mazenderan heimzusuchen
pflegten, bis die Russen diesen schändlichen Erwerbszweig unter-
drückten. Sie versorgten die Sklavenmärkte in Chiwa, Bochara
und Kokand und förderten dadurch eine fortgesetzte Kreuzung
des türkischen mit erânischem Blute. Diese hat wohl seit den
ältesten Zeiten stattgefunden, denn als die türkischen Stämme sich
Kaschgarien, Fergana und Charezm unterwarfen, fanden sie dort
eine altpersische Städtebevölkerung, die Tadschik der heutigen
Völkerkunde, die von früheren Reisenden auch Sarten geheissen
wurden, während Robert Shaw vor einer solchen Verwechselung
gewarnt hat. Die Sarten in Kaschgarien besitzen zwar alle Körper-
merkmale einer erânischen Abkunft, aber sie reden türkisch.
Schon früher und ganz unabhängig von Shaw hatte der deutsche
Reisende H. v. Schlagintweit in den kaschgarischen Städtebewohnern
das Gepräge der arischen Abkunft erkannt 3). Solche Fälle, dass
nämlich Menschenstämme ihrer Sprache nach in eine andere Stellung
gehören, als nach den Kennzeichen der Race, setzen die Völker-
kunde in die nämliche Lage, in der sich die Mineralogie den
pseudomorphischen Erscheinungen gegenüber befindet. Wird näm-
lich ein Krystall von Sickerwasser aufgelöst und mitten aus dem
Muttergestein hinweggeführt, so kann sich ein anderes Mineral in
1) S. oben S. 22.
2) Reise um die Erde. Berlin 1848. Bd. 3. S. 51.
3) H. v. Schlagintweit, Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 40. und
R. Shaw, Reise nach der hohen Tatarei. Jena 1872. S. 17.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/425>, abgerufen am 23.12.2024.
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