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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
auf Schildkröten den Uferbewohnern Nahrung für das ganze Jahr
liefern, allein ihr Fang ist nur auf die trockene Zeit beschränkt,
wo sich die Thiere ans Land begeben. Desshalb besitzt fast jede
Familie neben ihrer Behausung einen geschlossenen Weiher, um
eine Anzahl lebendiger Thiere für die nasse Zeit aufzusparen 1),
häusliche Vorkehrungen, welche Orellana, der Entdecker des
Amazonenstromes, bereits bei den Eingebornen 2) antraf. Ausser-
dem wurden ehemals und werden noch jetzt Hoccoshühner (Crax) von
vielen brasilianischen Stämmen wegen ihres schmackhaften Fleisches
gezüchtet. An der venezuelanischen Küste bei den Eingebornen
Curianas sahen die spanischen Seefahrer Hausthiere, die sie als
Kaninchen, Gänse und Tauben bezeichneten 3). Auf den Antillen
wurden der stumme Hund und auf Haiti das Meerschweinchen
als Hausthiere gezogen. Nabelschweine und Tapire gewöhnen
sich sehr leicht an die Nähe des Menschen, wurden und werden
auch noch jetzt bezähmt bei den Brasilianern angetroffen, allein
sie vermehren sich nicht in der Gefangenschaft 4).

Dagegen fehlen uns glaubhafte Berichte, dass die Stämme
des nördlichen Festlandes östlich der Felsengebirge, immer mit
Ausnahme der Eskimo, vor der Entdeckung Thiere zum häus-
lichen Nutzen gezüchtet hätten. Gerade Nordamerika war aber
vor dem südlichen Festland durch ein gesellig lebendes Thier
bevorzugt, welches zur Entwickelung eines Hirtenlebens völlig ge-
nügen konnte. Wir meinen den Büffel oder Bison, der mit Aus-
nahme eines ganz kleinen Reviers auf dem westlichen Abhang
der Felsengebirge nicht vorkommt und ebenso gegen Osten vom
Mississippi sich nicht allzu weit entfernt. Jung eingefangen, lässt
sich der Bison zähmen und abrichten und hat auch mit dem
europäischen Rinde eine brauchbare Mischrace geliefert. Wenn
er dennoch von den Eingebornen weder gezüchtet, ja nicht einmal
gehegt worden ist, so hat es offenbar den Rothhäuten an der
Neigung oder an der Geduld zur Thierbezähmung gefehlt. Auch
die einheimische wilde Ente wurde von ihnen nicht, wohl aber
von den europäischen Ansiedlern gezähmt; der Truthahn, in

1) Bates, Amazons. p. 321.
2) Oviedo, Historia general. lib. L. cap. 24. tom. IV. p. 553.
3) Gomara, Historia de las Indias. cap. 75.
4) Darwin, Domestication. tom. II. p. 153.

Die amerikanische Urbevölkerung.
auf Schildkröten den Uferbewohnern Nahrung für das ganze Jahr
liefern, allein ihr Fang ist nur auf die trockene Zeit beschränkt,
wo sich die Thiere ans Land begeben. Desshalb besitzt fast jede
Familie neben ihrer Behausung einen geschlossenen Weiher, um
eine Anzahl lebendiger Thiere für die nasse Zeit aufzusparen 1),
häusliche Vorkehrungen, welche Orellana, der Entdecker des
Amazonenstromes, bereits bei den Eingebornen 2) antraf. Ausser-
dem wurden ehemals und werden noch jetzt Hoccoshühner (Crax) von
vielen brasilianischen Stämmen wegen ihres schmackhaften Fleisches
gezüchtet. An der venezuelanischen Küste bei den Eingebornen
Curianas sahen die spanischen Seefahrer Hausthiere, die sie als
Kaninchen, Gänse und Tauben bezeichneten 3). Auf den Antillen
wurden der stumme Hund und auf Haiti das Meerschweinchen
als Hausthiere gezogen. Nabelschweine und Tapire gewöhnen
sich sehr leicht an die Nähe des Menschen, wurden und werden
auch noch jetzt bezähmt bei den Brasilianern angetroffen, allein
sie vermehren sich nicht in der Gefangenschaft 4).

Dagegen fehlen uns glaubhafte Berichte, dass die Stämme
des nördlichen Festlandes östlich der Felsengebirge, immer mit
Ausnahme der Eskimo, vor der Entdeckung Thiere zum häus-
lichen Nutzen gezüchtet hätten. Gerade Nordamerika war aber
vor dem südlichen Festland durch ein gesellig lebendes Thier
bevorzugt, welches zur Entwickelung eines Hirtenlebens völlig ge-
nügen konnte. Wir meinen den Büffel oder Bison, der mit Aus-
nahme eines ganz kleinen Reviers auf dem westlichen Abhang
der Felsengebirge nicht vorkommt und ebenso gegen Osten vom
Mississippi sich nicht allzu weit entfernt. Jung eingefangen, lässt
sich der Bison zähmen und abrichten und hat auch mit dem
europäischen Rinde eine brauchbare Mischrace geliefert. Wenn
er dennoch von den Eingebornen weder gezüchtet, ja nicht einmal
gehegt worden ist, so hat es offenbar den Rothhäuten an der
Neigung oder an der Geduld zur Thierbezähmung gefehlt. Auch
die einheimische wilde Ente wurde von ihnen nicht, wohl aber
von den europäischen Ansiedlern gezähmt; der Truthahn, in

1) Bates, Amazons. p. 321.
2) Oviedo, Historia general. lib. L. cap. 24. tom. IV. p. 553.
3) Gomara, Historia de las Indias. cap. 75.
4) Darwin, Domestication. tom. II. p. 153.
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[453/0471] Die amerikanische Urbevölkerung. auf Schildkröten den Uferbewohnern Nahrung für das ganze Jahr liefern, allein ihr Fang ist nur auf die trockene Zeit beschränkt, wo sich die Thiere ans Land begeben. Desshalb besitzt fast jede Familie neben ihrer Behausung einen geschlossenen Weiher, um eine Anzahl lebendiger Thiere für die nasse Zeit aufzusparen 1), häusliche Vorkehrungen, welche Orellana, der Entdecker des Amazonenstromes, bereits bei den Eingebornen 2) antraf. Ausser- dem wurden ehemals und werden noch jetzt Hoccoshühner (Crax) von vielen brasilianischen Stämmen wegen ihres schmackhaften Fleisches gezüchtet. An der venezuelanischen Küste bei den Eingebornen Curianas sahen die spanischen Seefahrer Hausthiere, die sie als Kaninchen, Gänse und Tauben bezeichneten 3). Auf den Antillen wurden der stumme Hund und auf Haiti das Meerschweinchen als Hausthiere gezogen. Nabelschweine und Tapire gewöhnen sich sehr leicht an die Nähe des Menschen, wurden und werden auch noch jetzt bezähmt bei den Brasilianern angetroffen, allein sie vermehren sich nicht in der Gefangenschaft 4). Dagegen fehlen uns glaubhafte Berichte, dass die Stämme des nördlichen Festlandes östlich der Felsengebirge, immer mit Ausnahme der Eskimo, vor der Entdeckung Thiere zum häus- lichen Nutzen gezüchtet hätten. Gerade Nordamerika war aber vor dem südlichen Festland durch ein gesellig lebendes Thier bevorzugt, welches zur Entwickelung eines Hirtenlebens völlig ge- nügen konnte. Wir meinen den Büffel oder Bison, der mit Aus- nahme eines ganz kleinen Reviers auf dem westlichen Abhang der Felsengebirge nicht vorkommt und ebenso gegen Osten vom Mississippi sich nicht allzu weit entfernt. Jung eingefangen, lässt sich der Bison zähmen und abrichten und hat auch mit dem europäischen Rinde eine brauchbare Mischrace geliefert. Wenn er dennoch von den Eingebornen weder gezüchtet, ja nicht einmal gehegt worden ist, so hat es offenbar den Rothhäuten an der Neigung oder an der Geduld zur Thierbezähmung gefehlt. Auch die einheimische wilde Ente wurde von ihnen nicht, wohl aber von den europäischen Ansiedlern gezähmt; der Truthahn, in 1) Bates, Amazons. p. 321. 2) Oviedo, Historia general. lib. L. cap. 24. tom. IV. p. 553. 3) Gomara, Historia de las Indias. cap. 75. 4) Darwin, Domestication. tom. II. p. 153.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/471>, abgerufen am 20.05.2024.