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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
uns andrerseits, dass die Irokesen vor seiner Zeit viel geräumigere
Wohnungen sich erbauten, also auch sie, wie unzählige andere
halbentwickelte Menschenstämme, nach der Berührung mit Euro-
päern ihre alten Künste vernachlässigten. Die Hügel- und
Schanzenerbauer waren also die Voreltern jener Rothhäute, welche
von den europäischen Ansiedlern verdrängt wurden, sie lebten
wie diese von der Jagd und mögen in den nämlichen Zuständen
schon vor der Ankunft der Entdecker eine Reihe von Jahr-
hunderten verharrt haben 1).

Die Jagd ist aber unverträglich mit dem Aufschwung zu
einem erhöhten Culturleben, denn die sittliche Entwickelung der
Völker steht in strenger Abhängigkeit von ihrer Ernährungsweise.
Nur dort finden wir die frühesten und lange Zeit vereinsamten
Lichtpunkte der menschlichen Gesellschaft, wo sich die Bevölkerung
mit Leichtigkeit verdichten konnte, wie am Nil und in China;
denn erst nach Eintritt eines engeren Zusammenrückens der Be-
völkerung vollzieht sich eine Theilung der Arbeit, die bei sehr
vielen Culturanfängen durch eine Abscheidung in Kasten sich
ausgedrückt hat. Die Jagd auf einem Gebiet von gewissem Wild-
reichthum kann dagegen nur eine genau und karg bemessene
Bevölkerung ernähren. Mehrt sich ein Stamm über den Fleisch-
ertrag seiner Reviere hinaus, so werden die Männer theils vom
Mangel, theils vom Bewusstsein ihrer überlegenen Zahl getrieben,
die Jagdgründe ihrer Nachbarn betreten. Die unausbleibliche
Folge sind dann Fehden, wo der stärkere Stamm den schwächeren
entweder aufreibt oder verdrängt, in welchem letzteren Falle dieser
wiederum verdrängen oder ausrotten muss. Starke Jägerstämme
können sich daher wohl ausbreiten, nicht aber sich verdichten.

Ein Wachsthum der Gesittung, wenn es nicht durch Ankunft
der Europäer unterbrochen worden wäre, konnte in Amerika nur
dann stattfinden, wenn die Ernährung durch Feldfrüchte mehr
und mehr die Ernährung durch Jagdbeute ersetzt hätte. So weit
die Polargrenze des Mais in Nordamerika reicht, nämlich bis zum
und über den Lorenzostrom und den grossen Seen, ja nördlich

1) Das Obige wurde bereits veröffentlicht im Ausland. 1868. S. 291.
Wichtig ist es, dass seitdem ein so zuverlässiger Beobachter wie Tylor (Anfänge
der Cultur. Bd. 1. S. 57) zu dem nämlichen Ergebniss gelangt ist.

Die amerikanische Urbevölkerung.
uns andrerseits, dass die Irokesen vor seiner Zeit viel geräumigere
Wohnungen sich erbauten, also auch sie, wie unzählige andere
halbentwickelte Menschenstämme, nach der Berührung mit Euro-
päern ihre alten Künste vernachlässigten. Die Hügel- und
Schanzenerbauer waren also die Voreltern jener Rothhäute, welche
von den europäischen Ansiedlern verdrängt wurden, sie lebten
wie diese von der Jagd und mögen in den nämlichen Zuständen
schon vor der Ankunft der Entdecker eine Reihe von Jahr-
hunderten verharrt haben 1).

Die Jagd ist aber unverträglich mit dem Aufschwung zu
einem erhöhten Culturleben, denn die sittliche Entwickelung der
Völker steht in strenger Abhängigkeit von ihrer Ernährungsweise.
Nur dort finden wir die frühesten und lange Zeit vereinsamten
Lichtpunkte der menschlichen Gesellschaft, wo sich die Bevölkerung
mit Leichtigkeit verdichten konnte, wie am Nil und in China;
denn erst nach Eintritt eines engeren Zusammenrückens der Be-
völkerung vollzieht sich eine Theilung der Arbeit, die bei sehr
vielen Culturanfängen durch eine Abscheidung in Kasten sich
ausgedrückt hat. Die Jagd auf einem Gebiet von gewissem Wild-
reichthum kann dagegen nur eine genau und karg bemessene
Bevölkerung ernähren. Mehrt sich ein Stamm über den Fleisch-
ertrag seiner Reviere hinaus, so werden die Männer theils vom
Mangel, theils vom Bewusstsein ihrer überlegenen Zahl getrieben,
die Jagdgründe ihrer Nachbarn betreten. Die unausbleibliche
Folge sind dann Fehden, wo der stärkere Stamm den schwächeren
entweder aufreibt oder verdrängt, in welchem letzteren Falle dieser
wiederum verdrängen oder ausrotten muss. Starke Jägerstämme
können sich daher wohl ausbreiten, nicht aber sich verdichten.

Ein Wachsthum der Gesittung, wenn es nicht durch Ankunft
der Europäer unterbrochen worden wäre, konnte in Amerika nur
dann stattfinden, wenn die Ernährung durch Feldfrüchte mehr
und mehr die Ernährung durch Jagdbeute ersetzt hätte. So weit
die Polargrenze des Mais in Nordamerika reicht, nämlich bis zum
und über den Lorenzostrom und den grossen Seen, ja nördlich

1) Das Obige wurde bereits veröffentlicht im Ausland. 1868. S. 291.
Wichtig ist es, dass seitdem ein so zuverlässiger Beobachter wie Tylor (Anfänge
der Cultur. Bd. 1. S. 57) zu dem nämlichen Ergebniss gelangt ist.
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[456/0474] Die amerikanische Urbevölkerung. uns andrerseits, dass die Irokesen vor seiner Zeit viel geräumigere Wohnungen sich erbauten, also auch sie, wie unzählige andere halbentwickelte Menschenstämme, nach der Berührung mit Euro- päern ihre alten Künste vernachlässigten. Die Hügel- und Schanzenerbauer waren also die Voreltern jener Rothhäute, welche von den europäischen Ansiedlern verdrängt wurden, sie lebten wie diese von der Jagd und mögen in den nämlichen Zuständen schon vor der Ankunft der Entdecker eine Reihe von Jahr- hunderten verharrt haben 1). Die Jagd ist aber unverträglich mit dem Aufschwung zu einem erhöhten Culturleben, denn die sittliche Entwickelung der Völker steht in strenger Abhängigkeit von ihrer Ernährungsweise. Nur dort finden wir die frühesten und lange Zeit vereinsamten Lichtpunkte der menschlichen Gesellschaft, wo sich die Bevölkerung mit Leichtigkeit verdichten konnte, wie am Nil und in China; denn erst nach Eintritt eines engeren Zusammenrückens der Be- völkerung vollzieht sich eine Theilung der Arbeit, die bei sehr vielen Culturanfängen durch eine Abscheidung in Kasten sich ausgedrückt hat. Die Jagd auf einem Gebiet von gewissem Wild- reichthum kann dagegen nur eine genau und karg bemessene Bevölkerung ernähren. Mehrt sich ein Stamm über den Fleisch- ertrag seiner Reviere hinaus, so werden die Männer theils vom Mangel, theils vom Bewusstsein ihrer überlegenen Zahl getrieben, die Jagdgründe ihrer Nachbarn betreten. Die unausbleibliche Folge sind dann Fehden, wo der stärkere Stamm den schwächeren entweder aufreibt oder verdrängt, in welchem letzteren Falle dieser wiederum verdrängen oder ausrotten muss. Starke Jägerstämme können sich daher wohl ausbreiten, nicht aber sich verdichten. Ein Wachsthum der Gesittung, wenn es nicht durch Ankunft der Europäer unterbrochen worden wäre, konnte in Amerika nur dann stattfinden, wenn die Ernährung durch Feldfrüchte mehr und mehr die Ernährung durch Jagdbeute ersetzt hätte. So weit die Polargrenze des Mais in Nordamerika reicht, nämlich bis zum und über den Lorenzostrom und den grossen Seen, ja nördlich 1) Das Obige wurde bereits veröffentlicht im Ausland. 1868. S. 291. Wichtig ist es, dass seitdem ein so zuverlässiger Beobachter wie Tylor (Anfänge der Cultur. Bd. 1. S. 57) zu dem nämlichen Ergebniss gelangt ist.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/474>, abgerufen am 23.12.2024.