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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
wie nautische Fertigkeiten von Kamtschatka aus über die Aleuten
an der Westküste von Nordamerika sich verbreiteten, ebenso sind
eine Anzahl anderer Erkenntnisse und Erfindungen aus Asien zu
den Stämmen des nördlichen Festlandes gelangt. Im Sinne unserer
Lehre, dass Amerika von Asien aus über die Beringstrasse be-
völkert wurde, erscheint das nördliche Festland als die ältere
Heimath der Amerikaner, von der aus Südamerika gleichsam als
eine neue Welt erst entdeckt werden sollte, und zwar muss dies
so gedacht werden, dass es durch schwächere Horden geschah, die von
stärkern aus der nördlichen Hälfte verdrängt wurden. Auch war
das nördliche Festland, als das früher bewohnte, weit dichter be-
völkert als das südliche.

Im Osten der Anden des südlichen und der Cordilleren des
nördlichen Festlandes haben Wald und Steppe keine sehr merk-
lichen Unterschiede zwischen ihren Bewohnern ausgebildet. Höch-
stens lässt sich behaupten, dass die Dacota oder Sioux der Prai-
rien Nordamerika's, deren Wohnsitze mit dem Verbreitungsgebiet
des Bison fast genau zusammenfallen, viel roher erscheinen als
ihre Nachbarn östlich vom Mississippi, und ganz deutlich ergibt
sich aus Cabeza de Vaca's Erlebnissen, dass die Urbewohner von
Texas, sowie von Chihuahua, bis zur pacifischen Wasserscheide
ungleich tiefer standen, als selbst die Dacota.

Vergleichen wir aber die gesellschaftliche Entwickelung der
Jägervölker im südlichen und nördlichen Festland unter einander,
so wird auf beiden Gebieten eine Besserung fühlbar, je mehr wir
uns den Ufern der mexicanischen und caribischen Golfe nähern,
oder mit andern Worten: in Südamerika sind die Völker, die
nördlicher wohnen, in Nordamerika die Völker, die südlicher
wohnen, durchschnittlich gesitteter. Die rohesten Stämme Süd-
amerika's, wie die Botocuden, Coroados, Puris, Lenguas, gehören
sämmtlich Südbrasilien an, am Amazonas dagegen stiessen Spix
und Martius auf wichtige Fortschritte in den gesellschaftlichen Zu-
ständen; ja wenn wir Berichten der ersten Entdecker unter Orellana
volles Vertrauen schenken dürften, war der obere Lauf des grossen
Stromes mit volkreichen Ortschaften besäumt, es waren dort
Tempel und in den Tempeln Götzenbilder, die sich auf Rädern
bewegten, zu sehen. Von solchen Dingen haben spätere Besucher
freilich nichts wahrgenommen, und selbst wenn sie vorhanden
waren, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie Stämmen

Die amerikanische Urbevölkerung.
wie nautische Fertigkeiten von Kamtschatka aus über die Alëuten
an der Westküste von Nordamerika sich verbreiteten, ebenso sind
eine Anzahl anderer Erkenntnisse und Erfindungen aus Asien zu
den Stämmen des nördlichen Festlandes gelangt. Im Sinne unserer
Lehre, dass Amerika von Asien aus über die Beringstrasse be-
völkert wurde, erscheint das nördliche Festland als die ältere
Heimath der Amerikaner, von der aus Südamerika gleichsam als
eine neue Welt erst entdeckt werden sollte, und zwar muss dies
so gedacht werden, dass es durch schwächere Horden geschah, die von
stärkern aus der nördlichen Hälfte verdrängt wurden. Auch war
das nördliche Festland, als das früher bewohnte, weit dichter be-
völkert als das südliche.

Im Osten der Anden des südlichen und der Cordilleren des
nördlichen Festlandes haben Wald und Steppe keine sehr merk-
lichen Unterschiede zwischen ihren Bewohnern ausgebildet. Höch-
stens lässt sich behaupten, dass die Dacota oder Sioux der Prai-
rien Nordamerika’s, deren Wohnsitze mit dem Verbreitungsgebiet
des Bison fast genau zusammenfallen, viel roher erscheinen als
ihre Nachbarn östlich vom Mississippi, und ganz deutlich ergibt
sich aus Cabeza de Vaca’s Erlebnissen, dass die Urbewohner von
Texas, sowie von Chihuahua, bis zur pacifischen Wasserscheide
ungleich tiefer standen, als selbst die Dacota.

Vergleichen wir aber die gesellschaftliche Entwickelung der
Jägervölker im südlichen und nördlichen Festland unter einander,
so wird auf beiden Gebieten eine Besserung fühlbar, je mehr wir
uns den Ufern der mexicanischen und caribischen Golfe nähern,
oder mit andern Worten: in Südamerika sind die Völker, die
nördlicher wohnen, in Nordamerika die Völker, die südlicher
wohnen, durchschnittlich gesitteter. Die rohesten Stämme Süd-
amerika’s, wie die Botocuden, Coroados, Puris, Lenguas, gehören
sämmtlich Südbrasilien an, am Amazonas dagegen stiessen Spix
und Martius auf wichtige Fortschritte in den gesellschaftlichen Zu-
ständen; ja wenn wir Berichten der ersten Entdecker unter Orellana
volles Vertrauen schenken dürften, war der obere Lauf des grossen
Stromes mit volkreichen Ortschaften besäumt, es waren dort
Tempel und in den Tempeln Götzenbilder, die sich auf Rädern
bewegten, zu sehen. Von solchen Dingen haben spätere Besucher
freilich nichts wahrgenommen, und selbst wenn sie vorhanden
waren, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie Stämmen

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[462/0480] Die amerikanische Urbevölkerung. wie nautische Fertigkeiten von Kamtschatka aus über die Alëuten an der Westküste von Nordamerika sich verbreiteten, ebenso sind eine Anzahl anderer Erkenntnisse und Erfindungen aus Asien zu den Stämmen des nördlichen Festlandes gelangt. Im Sinne unserer Lehre, dass Amerika von Asien aus über die Beringstrasse be- völkert wurde, erscheint das nördliche Festland als die ältere Heimath der Amerikaner, von der aus Südamerika gleichsam als eine neue Welt erst entdeckt werden sollte, und zwar muss dies so gedacht werden, dass es durch schwächere Horden geschah, die von stärkern aus der nördlichen Hälfte verdrängt wurden. Auch war das nördliche Festland, als das früher bewohnte, weit dichter be- völkert als das südliche. Im Osten der Anden des südlichen und der Cordilleren des nördlichen Festlandes haben Wald und Steppe keine sehr merk- lichen Unterschiede zwischen ihren Bewohnern ausgebildet. Höch- stens lässt sich behaupten, dass die Dacota oder Sioux der Prai- rien Nordamerika’s, deren Wohnsitze mit dem Verbreitungsgebiet des Bison fast genau zusammenfallen, viel roher erscheinen als ihre Nachbarn östlich vom Mississippi, und ganz deutlich ergibt sich aus Cabeza de Vaca’s Erlebnissen, dass die Urbewohner von Texas, sowie von Chihuahua, bis zur pacifischen Wasserscheide ungleich tiefer standen, als selbst die Dacota. Vergleichen wir aber die gesellschaftliche Entwickelung der Jägervölker im südlichen und nördlichen Festland unter einander, so wird auf beiden Gebieten eine Besserung fühlbar, je mehr wir uns den Ufern der mexicanischen und caribischen Golfe nähern, oder mit andern Worten: in Südamerika sind die Völker, die nördlicher wohnen, in Nordamerika die Völker, die südlicher wohnen, durchschnittlich gesitteter. Die rohesten Stämme Süd- amerika’s, wie die Botocuden, Coroados, Puris, Lenguas, gehören sämmtlich Südbrasilien an, am Amazonas dagegen stiessen Spix und Martius auf wichtige Fortschritte in den gesellschaftlichen Zu- ständen; ja wenn wir Berichten der ersten Entdecker unter Orellana volles Vertrauen schenken dürften, war der obere Lauf des grossen Stromes mit volkreichen Ortschaften besäumt, es waren dort Tempel und in den Tempeln Götzenbilder, die sich auf Rädern bewegten, zu sehen. Von solchen Dingen haben spätere Besucher freilich nichts wahrgenommen, und selbst wenn sie vorhanden waren, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie Stämmen

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/480>, abgerufen am 23.12.2024.