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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.

Eine eigene Anziehungskraft haben in der neuen Welt die
Landseen und vor allen die Hochlandseen auf ihre Culturvölker
geübt. Am Titicaca-See hat man früher, doch mit Unrecht, die
ältesten Sitze der Quichuacultur gesucht, wohl aber befanden sich
unter den späteren Inca dort die berühmten Webereien, welche
das Cumbi oder die feinsten der Llamatücher lieferten 1). In den
Seen Anahuacs spiegelten sich die Tempelpyramiden der Tolteken,
am Guatavita-See befanden sich Heiligthümer der Chibchastämme,
und an seine Gestade knüpft sich die Sage vom goldenen Herrn
(el dorado), der sich den Metallpuder beim Baden in seinen Ge-
wässern abwusch. Die Inseln im Peten-See Guatemala's wurden
nach der Zerstörung des Reiches Mayapan im Jahre 1420 von
den südwärts wandernden Itzaes als Wohnsitz erwählt 2), und am
Nicaragua-See hatte sich vor der Entdeckung eine verfeinerte Be-
völkerung ausserordentlich verdichtet. Bei einer anfänglichen
flüchtigen Untersuchung verspürt man daher eine grosse Neigung,
den Landseen eine besondere Beförderung der gesellschaftlichen
Zustände zuzutrauen. Doch bald gelangt man dahin, ihren Ein-
fluss wieder einzuschränken. Die neue Welt südwärts vom 40.
nördlichen Breitenkreise ist auffallend arm an Binnenseen, nament-
lich gilt dies von Südamerika, verglichen mit dem geschwisterlich
so ähnlichen Afrika. Es ist daher denkbar, dass vom Anblick
solcher Spiegel im Binnenland manche auf der Wanderung be-
griffene Culturstämme gefesselt stehen blieben. Ein kleiner Ge-
birgsweiher auf dem berühmten Andenpass von Valparaiso nach
dem zerstörten Mendoza, dessen erhabene Natur nie besser ge-
schildert worden ist als von Pöppig, heisst bei den Bewohnern
"das Auge des Inca", und dieser Ausdruck scheint uns anzu-
deuten, dass der sogenannte rothe Mann nicht völlig unberührt
blieb von den Eindrücken landschaftlicher Reizmittel 3). Seen auf
Hochebenen füllen meistens flache Einsenkungen aus, an ihren
Rändern werden daher Fluren sanft aufsteigen, die zum Feldbau
sich vorzugsweise eignen. Die Seen selbst bieten zugleich Nah-
rung in ihren Fischen, die mexicanischen beherbergen sogar in

1) J. Acosta, Hist. natural y moral. libr. IV. cap. 41. Madrid 1792.
tom. II. p. 284.
2) Morelet, Reisen in Central-Amerika. Jena 1872. S. 162.
3) Pöppig, Reise in Chile, Peru u. s. w. Leipzig 1835. Bd. 1. S. 242.
Die amerikanische Urbevölkerung.

Eine eigene Anziehungskraft haben in der neuen Welt die
Landseen und vor allen die Hochlandseen auf ihre Culturvölker
geübt. Am Titicaca-See hat man früher, doch mit Unrecht, die
ältesten Sitze der Quichuacultur gesucht, wohl aber befanden sich
unter den späteren Inca dort die berühmten Webereien, welche
das Cumbi oder die feinsten der Llamatücher lieferten 1). In den
Seen Anáhuacs spiegelten sich die Tempelpyramiden der Tolteken,
am Guatavita-See befanden sich Heiligthümer der Chibchastämme,
und an seine Gestade knüpft sich die Sage vom goldenen Herrn
(el dorado), der sich den Metallpuder beim Baden in seinen Ge-
wässern abwusch. Die Inseln im Peten-See Guatemala’s wurden
nach der Zerstörung des Reiches Mayapan im Jahre 1420 von
den südwärts wandernden Itzaes als Wohnsitz erwählt 2), und am
Nicaragua-See hatte sich vor der Entdeckung eine verfeinerte Be-
völkerung ausserordentlich verdichtet. Bei einer anfänglichen
flüchtigen Untersuchung verspürt man daher eine grosse Neigung,
den Landseen eine besondere Beförderung der gesellschaftlichen
Zustände zuzutrauen. Doch bald gelangt man dahin, ihren Ein-
fluss wieder einzuschränken. Die neue Welt südwärts vom 40.
nördlichen Breitenkreise ist auffallend arm an Binnenseen, nament-
lich gilt dies von Südamerika, verglichen mit dem geschwisterlich
so ähnlichen Afrika. Es ist daher denkbar, dass vom Anblick
solcher Spiegel im Binnenland manche auf der Wanderung be-
griffene Culturstämme gefesselt stehen blieben. Ein kleiner Ge-
birgsweiher auf dem berühmten Andenpass von Valparaiso nach
dem zerstörten Mendoza, dessen erhabene Natur nie besser ge-
schildert worden ist als von Pöppig, heisst bei den Bewohnern
„das Auge des Inca“, und dieser Ausdruck scheint uns anzu-
deuten, dass der sogenannte rothe Mann nicht völlig unberührt
blieb von den Eindrücken landschaftlicher Reizmittel 3). Seen auf
Hochebenen füllen meistens flache Einsenkungen aus, an ihren
Rändern werden daher Fluren sanft aufsteigen, die zum Feldbau
sich vorzugsweise eignen. Die Seen selbst bieten zugleich Nah-
rung in ihren Fischen, die mexicanischen beherbergen sogar in

1) J. Acosta, Hist. natural y moral. libr. IV. cap. 41. Madrid 1792.
tom. II. p. 284.
2) Morelet, Reisen in Central-Amerika. Jena 1872. S. 162.
3) Pöppig, Reise in Chile, Peru u. s. w. Leipzig 1835. Bd. 1. S. 242.
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[473/0491] Die amerikanische Urbevölkerung. Eine eigene Anziehungskraft haben in der neuen Welt die Landseen und vor allen die Hochlandseen auf ihre Culturvölker geübt. Am Titicaca-See hat man früher, doch mit Unrecht, die ältesten Sitze der Quichuacultur gesucht, wohl aber befanden sich unter den späteren Inca dort die berühmten Webereien, welche das Cumbi oder die feinsten der Llamatücher lieferten 1). In den Seen Anáhuacs spiegelten sich die Tempelpyramiden der Tolteken, am Guatavita-See befanden sich Heiligthümer der Chibchastämme, und an seine Gestade knüpft sich die Sage vom goldenen Herrn (el dorado), der sich den Metallpuder beim Baden in seinen Ge- wässern abwusch. Die Inseln im Peten-See Guatemala’s wurden nach der Zerstörung des Reiches Mayapan im Jahre 1420 von den südwärts wandernden Itzaes als Wohnsitz erwählt 2), und am Nicaragua-See hatte sich vor der Entdeckung eine verfeinerte Be- völkerung ausserordentlich verdichtet. Bei einer anfänglichen flüchtigen Untersuchung verspürt man daher eine grosse Neigung, den Landseen eine besondere Beförderung der gesellschaftlichen Zustände zuzutrauen. Doch bald gelangt man dahin, ihren Ein- fluss wieder einzuschränken. Die neue Welt südwärts vom 40. nördlichen Breitenkreise ist auffallend arm an Binnenseen, nament- lich gilt dies von Südamerika, verglichen mit dem geschwisterlich so ähnlichen Afrika. Es ist daher denkbar, dass vom Anblick solcher Spiegel im Binnenland manche auf der Wanderung be- griffene Culturstämme gefesselt stehen blieben. Ein kleiner Ge- birgsweiher auf dem berühmten Andenpass von Valparaiso nach dem zerstörten Mendoza, dessen erhabene Natur nie besser ge- schildert worden ist als von Pöppig, heisst bei den Bewohnern „das Auge des Inca“, und dieser Ausdruck scheint uns anzu- deuten, dass der sogenannte rothe Mann nicht völlig unberührt blieb von den Eindrücken landschaftlicher Reizmittel 3). Seen auf Hochebenen füllen meistens flache Einsenkungen aus, an ihren Rändern werden daher Fluren sanft aufsteigen, die zum Feldbau sich vorzugsweise eignen. Die Seen selbst bieten zugleich Nah- rung in ihren Fischen, die mexicanischen beherbergen sogar in 1) J. Acosta, Hist. natural y moral. libr. IV. cap. 41. Madrid 1792. tom. II. p. 284. 2) Morelet, Reisen in Central-Amerika. Jena 1872. S. 162. 3) Pöppig, Reise in Chile, Peru u. s. w. Leipzig 1835. Bd. 1. S. 242.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/491>, abgerufen am 23.12.2024.