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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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nen. Der Arme ist schon halb errettet, wenn er
nur keinem Blutsauger unter die Klauen fällt.
Bald hernach fieng er wieder an und sagte: Es
geht mir ans Herz, wenn ich denke, wie viel Arme
sich oft im abscheulichsten Elend aufzehren, und
nicht den Verstand und das Herz haben, ihre
Umstände an einem Ort zu entdecken, wo man
ihnen herzlich gerne helfen würde, wenn man
nur auch recht wüßte, wie sich die Sachen ver-
halten. Es ist vor Gott nicht zu verantworten,
wie du dich Jahr und Tag vom Vogt hast herum-
schleppen lassen, und wie du Weib und Kind so
in Unruhe und Gefahr setzen konntest, ohne auch
nur ein einzig mal mich um Rath und Hülfe zu
bitten. Mäurer! denke nur auch, wenn deine
Frau nicht mehr Herz und Verstand gehabt hätte,
als du, wo es am Ende mit deinen Sachen hinaus
gelaufen wäre.

Gertrud. Das alles hat er gesagt, ehe er
dem Hausnumero nachgefragt hat?

Lienhard. Du hörst es ja wohl.

Gertrud. Du hast mir's mit Fleiß nicht sagen
wollen; Du!

Lienhard. Es wäre, denk ich wohl, das ge-
scheideste gewesen. Du wirst mir sonst noch gar
zu stolz, daß du so viel Herz gehabt hast.

Gertrud. Meinst du's, Hausmeister? Ja,
ja einmal auf diesen Streich werde ich mir etwas

einbilden,

nen. Der Arme iſt ſchon halb errettet, wenn er
nur keinem Blutſauger unter die Klauen faͤllt.
Bald hernach fieng er wieder an und ſagte: Es
geht mir ans Herz, wenn ich denke, wie viel Arme
ſich oft im abſcheulichſten Elend aufzehren, und
nicht den Verſtand und das Herz haben, ihre
Umſtaͤnde an einem Ort zu entdecken, wo man
ihnen herzlich gerne helfen wuͤrde, wenn man
nur auch recht wuͤßte, wie ſich die Sachen ver-
halten. Es iſt vor Gott nicht zu verantworten,
wie du dich Jahr und Tag vom Vogt haſt herum-
ſchleppen laſſen, und wie du Weib und Kind ſo
in Unruhe und Gefahr ſetzen konnteſt, ohne auch
nur ein einzig mal mich um Rath und Huͤlfe zu
bitten. Maͤurer! denke nur auch, wenn deine
Frau nicht mehr Herz und Verſtand gehabt haͤtte,
als du, wo es am Ende mit deinen Sachen hinaus
gelaufen waͤre.

Gertrud. Das alles hat er geſagt, ehe er
dem Hausnumero nachgefragt hat?

Lienhard. Du hoͤrſt es ja wohl.

Gertrud. Du haſt mir’s mit Fleiß nicht ſagen
wollen; Du!

Lienhard. Es waͤre, denk ich wohl, das ge-
ſcheideſte geweſen. Du wirſt mir ſonſt noch gar
zu ſtolz, daß du ſo viel Herz gehabt haſt.

Gertrud. Meinſt du’s, Hausmeiſter? Ja,
ja einmal auf dieſen Streich werde ich mir etwas

einbilden,
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[76/0101] nen. Der Arme iſt ſchon halb errettet, wenn er nur keinem Blutſauger unter die Klauen faͤllt. Bald hernach fieng er wieder an und ſagte: Es geht mir ans Herz, wenn ich denke, wie viel Arme ſich oft im abſcheulichſten Elend aufzehren, und nicht den Verſtand und das Herz haben, ihre Umſtaͤnde an einem Ort zu entdecken, wo man ihnen herzlich gerne helfen wuͤrde, wenn man nur auch recht wuͤßte, wie ſich die Sachen ver- halten. Es iſt vor Gott nicht zu verantworten, wie du dich Jahr und Tag vom Vogt haſt herum- ſchleppen laſſen, und wie du Weib und Kind ſo in Unruhe und Gefahr ſetzen konnteſt, ohne auch nur ein einzig mal mich um Rath und Huͤlfe zu bitten. Maͤurer! denke nur auch, wenn deine Frau nicht mehr Herz und Verſtand gehabt haͤtte, als du, wo es am Ende mit deinen Sachen hinaus gelaufen waͤre. Gertrud. Das alles hat er geſagt, ehe er dem Hausnumero nachgefragt hat? Lienhard. Du hoͤrſt es ja wohl. Gertrud. Du haſt mir’s mit Fleiß nicht ſagen wollen; Du! Lienhard. Es waͤre, denk ich wohl, das ge- ſcheideſte geweſen. Du wirſt mir ſonſt noch gar zu ſtolz, daß du ſo viel Herz gehabt haſt. Gertrud. Meinſt du’s, Hausmeiſter? Ja, ja einmal auf dieſen Streich werde ich mir etwas einbilden,

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/101>, abgerufen am 24.11.2024.