das mangelt, so ists gleich viel, der Mensch mag Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er will, und steckt alle Tage im Wirthshause. Da- bey aber ist er nicht glücklicher als der arme Wäch- ter, der's nicht hat; und ob er gleich auch alle Tage dürstet, dennoch nur dann und wann ein Glas Wein in seinem Winkel findet. Lienhard seufzte, und Gertrud schwieg auch eine Weile, dann sagte sie: Hast du auch nachgesehen, ob die Gesellen arbeiten? Ich muß dir sagen, der Joseph ist heute wieder ins Wirthshaus geschlichen.
Lienhard. Das ist verdrießlich! Gewiß hat ihn der Vogt kommen lassen. Er hat sich eben gar sonderbarlich aufgeführt. Ich bin, ehe ich heim kam, bey ihnen auf der Arbeit gewesen, und wenn er eben aus dem Wirthshaus gekommen ist: so macht mir das, was er gesagt hat, Unruhe; es ist denn nicht aus seinem Hafen.
Gertrud. Was ist's denn?
Lienhard. Er sagte: der Stein aus dem Schwendibruch wäre so vortrefflich zur Kirch- mauer, und da ich ihm antwortete, die grossen Feldkiesel, die in Menge nahe da herum lägen, wären viel besser, sagte er; ich woll immer ein Narr bleiben und meine Sachen nie recht anstellen. Die Mauer werde von den Schwendisteinen viel schöner und ansehnlicher werden. Ich dachte eben,
er
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das mangelt, ſo iſts gleich viel, der Menſch mag Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er will, und ſteckt alle Tage im Wirthshauſe. Da- bey aber iſt er nicht gluͤcklicher als der arme Waͤch- ter, der’s nicht hat; und ob er gleich auch alle Tage duͤrſtet, dennoch nur dann und wann ein Glas Wein in ſeinem Winkel findet. Lienhard ſeufzte, und Gertrud ſchwieg auch eine Weile, dann ſagte ſie: Haſt du auch nachgeſehen, ob die Geſellen arbeiten? Ich muß dir ſagen, der Joſeph iſt heute wieder ins Wirthshaus geſchlichen.
Lienhard. Das iſt verdrießlich! Gewiß hat ihn der Vogt kommen laſſen. Er hat ſich eben gar ſonderbarlich aufgefuͤhrt. Ich bin, ehe ich heim kam, bey ihnen auf der Arbeit geweſen, und wenn er eben aus dem Wirthshaus gekommen iſt: ſo macht mir das, was er geſagt hat, Unruhe; es iſt denn nicht aus ſeinem Hafen.
Gertrud. Was iſt’s denn?
Lienhard. Er ſagte: der Stein aus dem Schwendibruch waͤre ſo vortrefflich zur Kirch- mauer, und da ich ihm antwortete, die groſſen Feldkieſel, die in Menge nahe da herum laͤgen, waͤren viel beſſer, ſagte er; ich woll immer ein Narr bleiben und meine Sachen nie recht anſtellen. Die Mauer werde von den Schwendiſteinen viel ſchoͤner und anſehnlicher werden. Ich dachte eben,
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das mangelt, ſo iſts gleich viel, der Menſch mag
Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben
oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er
will, und ſteckt alle Tage im Wirthshauſe. Da-
bey aber iſt er nicht gluͤcklicher als der arme Waͤch-
ter, der’s nicht hat; und ob er gleich auch alle
Tage duͤrſtet, dennoch nur dann und wann ein
Glas Wein in ſeinem Winkel findet. Lienhard
ſeufzte, und Gertrud ſchwieg auch eine Weile, dann
ſagte ſie: Haſt du auch nachgeſehen, ob die Geſellen
arbeiten? Ich muß dir ſagen, der Joſeph iſt heute
wieder ins Wirthshaus geſchlichen.
Lienhard. Das iſt verdrießlich! Gewiß hat
ihn der Vogt kommen laſſen. Er hat ſich eben gar
ſonderbarlich aufgefuͤhrt. Ich bin, ehe ich heim
kam, bey ihnen auf der Arbeit geweſen, und wenn
er eben aus dem Wirthshaus gekommen iſt: ſo
macht mir das, was er geſagt hat, Unruhe; es
iſt denn nicht aus ſeinem Hafen.
Gertrud. Was iſt’s denn?
Lienhard. Er ſagte: der Stein aus dem
Schwendibruch waͤre ſo vortrefflich zur Kirch-
mauer, und da ich ihm antwortete, die groſſen
Feldkieſel, die in Menge nahe da herum laͤgen,
waͤren viel beſſer, ſagte er; ich woll immer ein
Narr bleiben und meine Sachen nie recht anſtellen.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/106>, abgerufen am 24.11.2024.
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