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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Gritte. Nein, geschrieben hast du ihn nicht;
aber, ich denk wohl, angegeben.

Lienhard. Das wär wohl viel, wenn ich dem
Junker seine Zedel angeben müßte.

Gritte. Ha, einmal weiß man, daß du alle
Tage im Schloß steckst, und gerad heute wieder
dort warst. Und wenn du auch berichtet hättest,
wie es vor diesem gewesen ist, so wär es beym
Alten geblieben.

Lienhard. Du gehst an den Wänden, Gritte,
wenn du das glaubst. Arner ist nicht der Mann,
der beym Alten bleibt, wenn er glaubt, er könn's
mit dem Neuen besser machen.

Gritte. Man sieht's --

Lienhard. Und zu dem wollte er mit dem
Verdienst den Armen und Nothleidenden aufhelfen.

Gritte. Ja eben will er nur Lumpen- und
Bettelgesindel aufhelfen.

Lienhard. Es sind nicht alle Arme Gesindel,
Gritte; Man muß [ni]e so reden. Es weiß keiner,
wie's ihm gehn wird, bis er unter den Boden kom-
men wird.

Gritte. Eben das ist's. Es muß ein jeder für
sein Stück Brod sorgen; und darum thut's uns
auch weh, daß man unser so gar vergessen hat.

Lienhard. Ach Gritte! Das ist jezt was an-
ders. Du hast schöne Güter, und issest bey dei-
nem Vater, und dieser hat das beste Verdienst im

Dorf

Gritte. Nein, geſchrieben haſt du ihn nicht;
aber, ich denk wohl, angegeben.

Lienhard. Das waͤr wohl viel, wenn ich dem
Junker ſeine Zedel angeben muͤßte.

Gritte. Ha, einmal weiß man, daß du alle
Tage im Schloß ſteckſt, und gerad heute wieder
dort warſt. Und wenn du auch berichtet haͤtteſt,
wie es vor dieſem geweſen iſt, ſo waͤr es beym
Alten geblieben.

Lienhard. Du gehſt an den Waͤnden, Gritte,
wenn du das glaubſt. Arner iſt nicht der Mann,
der beym Alten bleibt, wenn er glaubt, er koͤnn’s
mit dem Neuen beſſer machen.

Gritte. Man ſieht’s —

Lienhard. Und zu dem wollte er mit dem
Verdienſt den Armen und Nothleidenden aufhelfen.

Gritte. Ja eben will er nur Lumpen- und
Bettelgeſindel aufhelfen.

Lienhard. Es ſind nicht alle Arme Geſindel,
Gritte; Man muß [ni]e ſo reden. Es weiß keiner,
wie’s ihm gehn wird, bis er unter den Boden kom-
men wird.

Gritte. Eben das iſt’s. Es muß ein jeder fuͤr
ſein Stuͤck Brod ſorgen; und darum thut’s uns
auch weh, daß man unſer ſo gar vergeſſen hat.

Lienhard. Ach Gritte! Das iſt jezt was an-
ders. Du haſt ſchoͤne Guͤter, und iſſeſt bey dei-
nem Vater, und dieſer hat das beſte Verdienſt im

Dorf
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[86/0111] Gritte. Nein, geſchrieben haſt du ihn nicht; aber, ich denk wohl, angegeben. Lienhard. Das waͤr wohl viel, wenn ich dem Junker ſeine Zedel angeben muͤßte. Gritte. Ha, einmal weiß man, daß du alle Tage im Schloß ſteckſt, und gerad heute wieder dort warſt. Und wenn du auch berichtet haͤtteſt, wie es vor dieſem geweſen iſt, ſo waͤr es beym Alten geblieben. Lienhard. Du gehſt an den Waͤnden, Gritte, wenn du das glaubſt. Arner iſt nicht der Mann, der beym Alten bleibt, wenn er glaubt, er koͤnn’s mit dem Neuen beſſer machen. Gritte. Man ſieht’s — Lienhard. Und zu dem wollte er mit dem Verdienſt den Armen und Nothleidenden aufhelfen. Gritte. Ja eben will er nur Lumpen- und Bettelgeſindel aufhelfen. Lienhard. Es ſind nicht alle Arme Geſindel, Gritte; Man muß nie ſo reden. Es weiß keiner, wie’s ihm gehn wird, bis er unter den Boden kom- men wird. Gritte. Eben das iſt’s. Es muß ein jeder fuͤr ſein Stuͤck Brod ſorgen; und darum thut’s uns auch weh, daß man unſer ſo gar vergeſſen hat. Lienhard. Ach Gritte! Das iſt jezt was an- ders. Du haſt ſchoͤne Guͤter, und iſſeſt bey dei- nem Vater, und dieſer hat das beſte Verdienſt im Dorf

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/111>, abgerufen am 24.11.2024.