Die Mutter. Du mußst zu ihm gehen, Ru- deli! und ihn bitten, daß er dir verzeihe.
Rudeli. Großmutter! um Gottes willen, ich darf nicht!
Die Mutter. Du mußst, Rudeli! damit du es ein andermal nicht mehr thust. Ohne Wider- rede mußst du gehen! und um Gottes willen, mein Lieber! wenn dich schon hungert, nimm doch nichts mehr. Gott verläßt niemand; er gibt allemal wieder -- O Rudeli! wenn dich schon hungert; wenn du schon nichts hast und nichts weißst, traue auf deinen lieben Gott, und stihl nicht mehr.
Rudeli. Großmutter, Großmutter! ich will gewiß nicht mehr stehlen; wenn mich schon hun- gert; ich will nicht mehr stehlen.
Die Mutter. Nun so segne dich denn mein Gott! auf den ich hoffe -- und er bewahre dich du Lieber! Sie drückt ihn an ihr Herz, weinet und sagt dann: Du mußst jezt zum Mäurer gehen und ihn um Verzeihung bitten. Rudi! gehe doch auch mit ihm -- und sag des Mäurers, daß auch ich sie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid sey, daß ich ihnen die Erdäpfel nicht zurück geben könne -- sage ihnen ich wollte Gott für sie bitten, daß er ihnen ihr Uebriges segne -- Es thut mir so wehe -- Sie haben das Ihrige auch so nöthig -- und wenn die Frau nicht so Tag und Nacht arbeitete, sie könn- tens bey ihrer grossen Haushaltung fast nicht er-
machen.
Die Mutter. Du mußſt zu ihm gehen, Ru- deli! und ihn bitten, daß er dir verzeihe.
Rudeli. Großmutter! um Gottes willen, ich darf nicht!
Die Mutter. Du mußſt, Rudeli! damit du es ein andermal nicht mehr thuſt. Ohne Wider- rede mußſt du gehen! und um Gottes willen, mein Lieber! wenn dich ſchon hungert, nimm doch nichts mehr. Gott verlaͤßt niemand; er gibt allemal wieder — O Rudeli! wenn dich ſchon hungert; wenn du ſchon nichts haſt und nichts weißſt, traue auf deinen lieben Gott, und ſtihl nicht mehr.
Rudeli. Großmutter, Großmutter! ich will gewiß nicht mehr ſtehlen; wenn mich ſchon hun- gert; ich will nicht mehr ſtehlen.
Die Mutter. Nun ſo ſegne dich denn mein Gott! auf den ich hoffe — und er bewahre dich du Lieber! Sie druͤckt ihn an ihr Herz, weinet und ſagt dann: Du mußſt jezt zum Maͤurer gehen und ihn um Verzeihung bitten. Rudi! gehe doch auch mit ihm — und ſag des Maͤurers, daß auch ich ſie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid ſey, daß ich ihnen die Erdaͤpfel nicht zuruͤck geben koͤnne — ſage ihnen ich wollte Gott fuͤr ſie bitten, daß er ihnen ihr Uebriges ſegne — Es thut mir ſo wehe — Sie haben das Ihrige auch ſo noͤthig — und wenn die Frau nicht ſo Tag und Nacht arbeitete, ſie koͤnn- tens bey ihrer groſſen Haushaltung faſt nicht er-
machen.
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Die Mutter. Du mußſt zu ihm gehen, Ru-
deli! und ihn bitten, daß er dir verzeihe.
Rudeli. Großmutter! um Gottes willen, ich
darf nicht!
Die Mutter. Du mußſt, Rudeli! damit du
es ein andermal nicht mehr thuſt. Ohne Wider-
rede mußſt du gehen! und um Gottes willen, mein
Lieber! wenn dich ſchon hungert, nimm doch nichts
mehr. Gott verlaͤßt niemand; er gibt allemal
wieder — O Rudeli! wenn dich ſchon hungert;
wenn du ſchon nichts haſt und nichts weißſt, traue
auf deinen lieben Gott, und ſtihl nicht mehr.
Rudeli. Großmutter, Großmutter! ich will
gewiß nicht mehr ſtehlen; wenn mich ſchon hun-
gert; ich will nicht mehr ſtehlen.
Die Mutter. Nun ſo ſegne dich denn mein
Gott! auf den ich hoffe — und er bewahre dich
du Lieber! Sie druͤckt ihn an ihr Herz, weinet
und ſagt dann: Du mußſt jezt zum Maͤurer gehen
und ihn um Verzeihung bitten. Rudi! gehe doch
auch mit ihm — und ſag des Maͤurers, daß auch ich
ſie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid ſey,
daß ich ihnen die Erdaͤpfel nicht zuruͤck geben koͤnne —
ſage ihnen ich wollte Gott fuͤr ſie bitten, daß er
ihnen ihr Uebriges ſegne — Es thut mir ſo wehe —
Sie haben das Ihrige auch ſo noͤthig — und wenn die
Frau nicht ſo Tag und Nacht arbeitete, ſie koͤnn-
tens bey ihrer groſſen Haushaltung faſt nicht er-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/121>, abgerufen am 24.11.2024.
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