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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Vogt. Du hast Arbeit an dem Kirchbau, und
alle Tage 25 Kreuzer Taglohn; damit kannst du
dir in allweg helfen.

Kienast. Herr Gott im Himmel! darf ich diese
Hülfe hoffen?

Vogt. Ja, ja Kienast! Es ist gewiß, wie ich
sage.

Kienast. Nun so sey Gott gelobt und ihm
gedankt. (Es wird ihm blöd, seine Glieder zit-
tern.) Ich muß niedersitzen, diese Freude hat
mich so übernommen auf mein Schrecken. Er
setzt sich auf einen nahen Holzstock, und lehnet sich
an die Wand des Hauses, daß er nicht sinke.

Der Vogt sagte: Du magst wenig erleiden.

Und der Kienast: Ich bin noch nüchtern.

So späth, erwiederte der Vogt, und gieng sei-
nes Weges fort.

Die arme Frau in der Stube sah, daß der
Vogt bey ihrem Mann war, und jammerte entsetz-
lich: Das ist ein Unglück! Mein Mann ist heute
den ganzen Tag wie verwirrt, und weiß nicht, was
er thut; und eben jezt sah ich das Susanneli bey
der Nachbarinn beyde Hände zerwerfen, als wenn
es vor Verdruß ausser sich wäre, und jezt noch der
Vogt! Was ist doch für ein Unglück obhanden?
Es ist keine geplagtere Frau unter der Sonne.
Schon so weit in vierzig, und noch alle Jahr ein
Kind, und Sorgen und Mangel und Angst um

mich

Vogt. Du haſt Arbeit an dem Kirchbau, und
alle Tage 25 Kreuzer Taglohn; damit kannſt du
dir in allweg helfen.

Kienaſt. Herr Gott im Himmel! darf ich dieſe
Huͤlfe hoffen?

Vogt. Ja, ja Kienaſt! Es iſt gewiß, wie ich
ſage.

Kienaſt. Nun ſo ſey Gott gelobt und ihm
gedankt. (Es wird ihm bloͤd, ſeine Glieder zit-
tern.) Ich muß niederſitzen, dieſe Freude hat
mich ſo uͤbernommen auf mein Schrecken. Er
ſetzt ſich auf einen nahen Holzſtock, und lehnet ſich
an die Wand des Hauſes, daß er nicht ſinke.

Der Vogt ſagte: Du magſt wenig erleiden.

Und der Kienaſt: Ich bin noch nuͤchtern.

So ſpaͤth, erwiederte der Vogt, und gieng ſei-
nes Weges fort.

Die arme Frau in der Stube ſah, daß der
Vogt bey ihrem Mann war, und jammerte entſetz-
lich: Das iſt ein Ungluͤck! Mein Mann iſt heute
den ganzen Tag wie verwirrt, und weiß nicht, was
er thut; und eben jezt ſah ich das Suſanneli bey
der Nachbarinn beyde Haͤnde zerwerfen, als wenn
es vor Verdruß auſſer ſich waͤre, und jezt noch der
Vogt! Was iſt doch fuͤr ein Ungluͤck obhanden?
Es iſt keine geplagtere Frau unter der Sonne.
Schon ſo weit in vierzig, und noch alle Jahr ein
Kind, und Sorgen und Mangel und Angſt um

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[142/0167] Vogt. Du haſt Arbeit an dem Kirchbau, und alle Tage 25 Kreuzer Taglohn; damit kannſt du dir in allweg helfen. Kienaſt. Herr Gott im Himmel! darf ich dieſe Huͤlfe hoffen? Vogt. Ja, ja Kienaſt! Es iſt gewiß, wie ich ſage. Kienaſt. Nun ſo ſey Gott gelobt und ihm gedankt. (Es wird ihm bloͤd, ſeine Glieder zit- tern.) Ich muß niederſitzen, dieſe Freude hat mich ſo uͤbernommen auf mein Schrecken. Er ſetzt ſich auf einen nahen Holzſtock, und lehnet ſich an die Wand des Hauſes, daß er nicht ſinke. Der Vogt ſagte: Du magſt wenig erleiden. Und der Kienaſt: Ich bin noch nuͤchtern. So ſpaͤth, erwiederte der Vogt, und gieng ſei- nes Weges fort. Die arme Frau in der Stube ſah, daß der Vogt bey ihrem Mann war, und jammerte entſetz- lich: Das iſt ein Ungluͤck! Mein Mann iſt heute den ganzen Tag wie verwirrt, und weiß nicht, was er thut; und eben jezt ſah ich das Suſanneli bey der Nachbarinn beyde Haͤnde zerwerfen, als wenn es vor Verdruß auſſer ſich waͤre, und jezt noch der Vogt! Was iſt doch fuͤr ein Ungluͤck obhanden? Es iſt keine geplagtere Frau unter der Sonne. Schon ſo weit in vierzig, und noch alle Jahr ein Kind, und Sorgen und Mangel und Angſt um mich

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/167>, abgerufen am 24.11.2024.