betteln. Wenn der Pfarrer die Armen kennte wie ich, er würde nicht so viel Kummer für sie haben; aber es ist ihm nicht um die Armen. Er will nur schimpfen, und die Leute hinter einander richten und irre machen. Ja, die Armen sind Pursche, wenn ich zehn Schelmen nöthig habe, so finde ich Eilfe unter den Armen. *) Ich wollte wohl gerne, man brächte mir mein Einkommen auch alle Fronfasten richtig ins Haus; ich würde zuletzt wohl auch ler- nen, es fromm und andächtig abnehmen. Aber in meinem Gewerb, auf einem Wirthshaus und auf Bauernhöfen, wo alles auf den Heller muß ausgespitzt seyn, und wo man einen auch in allen Ecken rupft -- da hat's eine andre Bewandtnis. Ich wette, wer da gegen Taglöhner und Arme nach- sichtig und weichmüthig handeln wollte, der würde um Haab und Gut kommen -- Das sind allenthal- ben Schelmen -- So redte der Vogt, und verdrehte sich selber in seinem Herzen die Stimme seines Ge- wissens, die ihn unruhig machte, und ihm laut sagte, daß der Pfarrer Recht habe, und daß er der Mann sey, der allen Armen im Dorf den Schweiß und das Blut unter den Nägeln hervor drücke.
Aber wie er auch mit sich selber künstelte, so war ihm doch nicht wohl. Angst und Sorgen quälten
ihn
*) Der Erzschelm vergißt, daß die reichen Schelmen für sich selbst schaffen, und sich darum nicht brau- chen lassen.
betteln. Wenn der Pfarrer die Armen kennte wie ich, er wuͤrde nicht ſo viel Kummer fuͤr ſie haben; aber es iſt ihm nicht um die Armen. Er will nur ſchimpfen, und die Leute hinter einander richten und irre machen. Ja, die Armen ſind Purſche, wenn ich zehn Schelmen noͤthig habe, ſo finde ich Eilfe unter den Armen. *) Ich wollte wohl gerne, man braͤchte mir mein Einkommen auch alle Fronfaſten richtig ins Haus; ich wuͤrde zuletzt wohl auch ler- nen, es fromm und andaͤchtig abnehmen. Aber in meinem Gewerb, auf einem Wirthshaus und auf Bauernhoͤfen, wo alles auf den Heller muß ausgeſpitzt ſeyn, und wo man einen auch in allen Ecken rupft — da hat’s eine andre Bewandtnis. Ich wette, wer da gegen Tagloͤhner und Arme nach- ſichtig und weichmuͤthig handeln wollte, der wuͤrde um Haab und Gut kommen — Das ſind allenthal- ben Schelmen — So redte der Vogt, und verdrehte ſich ſelber in ſeinem Herzen die Stimme ſeines Ge- wiſſens, die ihn unruhig machte, und ihm laut ſagte, daß der Pfarrer Recht habe, und daß er der Mann ſey, der allen Armen im Dorf den Schweiß und das Blut unter den Naͤgeln hervor druͤcke.
Aber wie er auch mit ſich ſelber kuͤnſtelte, ſo war ihm doch nicht wohl. Angſt und Sorgen quaͤlten
ihn
*) Der Erzſchelm vergißt, daß die reichen Schelmen fuͤr ſich ſelbſt ſchaffen, und ſich darum nicht brau- chen laſſen.
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betteln. Wenn der Pfarrer die Armen kennte wie
ich, er wuͤrde nicht ſo viel Kummer fuͤr ſie haben;
aber es iſt ihm nicht um die Armen. Er will nur
ſchimpfen, und die Leute hinter einander richten und
irre machen. Ja, die Armen ſind Purſche, wenn
ich zehn Schelmen noͤthig habe, ſo finde ich Eilfe
unter den Armen. *) Ich wollte wohl gerne, man
braͤchte mir mein Einkommen auch alle Fronfaſten
richtig ins Haus; ich wuͤrde zuletzt wohl auch ler-
nen, es fromm und andaͤchtig abnehmen. Aber
in meinem Gewerb, auf einem Wirthshaus und
auf Bauernhoͤfen, wo alles auf den Heller muß
ausgeſpitzt ſeyn, und wo man einen auch in allen
Ecken rupft — da hat’s eine andre Bewandtnis.
Ich wette, wer da gegen Tagloͤhner und Arme nach-
ſichtig und weichmuͤthig handeln wollte, der wuͤrde
um Haab und Gut kommen — Das ſind allenthal-
ben Schelmen — So redte der Vogt, und verdrehte
ſich ſelber in ſeinem Herzen die Stimme ſeines Ge-
wiſſens, die ihn unruhig machte, und ihm laut
ſagte, daß der Pfarrer Recht habe, und daß er der
Mann ſey, der allen Armen im Dorf den Schweiß
und das Blut unter den Naͤgeln hervor druͤcke.
Aber wie er auch mit ſich ſelber kuͤnſtelte, ſo war
ihm doch nicht wohl. Angſt und Sorgen quaͤlten
ihn
*) Der Erzſchelm vergißt, daß die reichen Schelmen
fuͤr ſich ſelbſt ſchaffen, und ſich darum nicht brau-
chen laſſen.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/239>, abgerufen am 21.11.2024.
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