aber mein Auge harret deiner, o Herr! Unser Le- ben ist wie eine Blume des Felds, die am Morgen blühet, am Abend aber verwelket. O Herr, un- ser Herrscher! du bist gnädig und gut den Men- schen, die auf dich trauen -- darum hoffet meine Seele auf dich; aber der Weg des Sünders führt zum Verderben. -- Kinder meines Dorfs! o ihr Lieben! laßt euch lehren, wie es dem Gottlo- sen geht, damit ihr fromm werdet. Ich habe Kin- der gesehn, die ihren Eltern trotzten, und ihre Liebe für nichts achteten -- allen, allen ist's übel gegan- gen am Ende. Ich kannte des unglücklichen Ulis Vater -- ich habe mit ihm unter einem Dache ge- wohnt, und mit meinen Augen gesehn, wie der gottlose Sohn den armen Vater kränkte und schimpf- te -- und in meinem Leben werde ich's nicht ver- gessen, wie der alte arme Mann eine Stunde vor seinem Tode über ihn weinte. -- Ich sah den bö- sen Buben an seiner Begräbniß lachen -- Kann ihn Gott leben lassen, dachte ich, den Bösewicht? Was geschah? Er nahm ein Weib, das hatte viel Gut; und er war jezt im Dorf einer der Reichsten, und gieng in seinem Stolz und in seiner Bosheit einher, als ob Niemand im Himmel und Niemand auf Erden über ihm wäre.
Ein Jahr gieng vorüber, da sah ich den stol- zen Uli an seiner Frauen Begräbniß heulen und wei- nen. Ihr Gut mußte er ihren Verwandten bis
auf
aber mein Auge harret deiner, o Herr! Unſer Le- ben iſt wie eine Blume des Felds, die am Morgen bluͤhet, am Abend aber verwelket. O Herr, un- ſer Herrſcher! du biſt gnaͤdig und gut den Men- ſchen, die auf dich trauen — darum hoffet meine Seele auf dich; aber der Weg des Suͤnders fuͤhrt zum Verderben. — Kinder meines Dorfs! o ihr Lieben! laßt euch lehren, wie es dem Gottlo- ſen geht, damit ihr fromm werdet. Ich habe Kin- der geſehn, die ihren Eltern trotzten, und ihre Liebe fuͤr nichts achteten — allen, allen iſt’s uͤbel gegan- gen am Ende. Ich kannte des ungluͤcklichen Ulis Vater — ich habe mit ihm unter einem Dache ge- wohnt, und mit meinen Augen geſehn, wie der gottloſe Sohn den armen Vater kraͤnkte und ſchimpf- te — und in meinem Leben werde ich’s nicht ver- geſſen, wie der alte arme Mann eine Stunde vor ſeinem Tode uͤber ihn weinte. — Ich ſah den boͤ- ſen Buben an ſeiner Begraͤbniß lachen — Kann ihn Gott leben laſſen, dachte ich, den Boͤſewicht? Was geſchah? Er nahm ein Weib, das hatte viel Gut; und er war jezt im Dorf einer der Reichſten, und gieng in ſeinem Stolz und in ſeiner Bosheit einher, als ob Niemand im Himmel und Niemand auf Erden uͤber ihm waͤre.
Ein Jahr gieng voruͤber, da ſah ich den ſtol- zen Uli an ſeiner Frauen Begraͤbniß heulen und wei- nen. Ihr Gut mußte er ihren Verwandten bis
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aber mein Auge harret deiner, o Herr! Unſer Le-
ben iſt wie eine Blume des Felds, die am Morgen
bluͤhet, am Abend aber verwelket. O Herr, un-
ſer Herrſcher! du biſt gnaͤdig und gut den Men-
ſchen, die auf dich trauen — darum hoffet meine
Seele auf dich; aber der Weg des Suͤnders
fuͤhrt zum Verderben. — Kinder meines Dorfs! o
ihr Lieben! laßt euch lehren, wie es dem Gottlo-
ſen geht, damit ihr fromm werdet. Ich habe Kin-
der geſehn, die ihren Eltern trotzten, und ihre Liebe
fuͤr nichts achteten — allen, allen iſt’s uͤbel gegan-
gen am Ende. Ich kannte des ungluͤcklichen Ulis
Vater — ich habe mit ihm unter einem Dache ge-
wohnt, und mit meinen Augen geſehn, wie der
gottloſe Sohn den armen Vater kraͤnkte und ſchimpf-
te — und in meinem Leben werde ich’s nicht ver-
geſſen, wie der alte arme Mann eine Stunde vor
ſeinem Tode uͤber ihn weinte. — Ich ſah den boͤ-
ſen Buben an ſeiner Begraͤbniß lachen — Kann
ihn Gott leben laſſen, dachte ich, den Boͤſewicht?
Was geſchah? Er nahm ein Weib, das hatte viel
Gut; und er war jezt im Dorf einer der Reichſten,
und gieng in ſeinem Stolz und in ſeiner Bosheit
einher, als ob Niemand im Himmel und Niemand
auf Erden uͤber ihm waͤre.
Ein Jahr gieng voruͤber, da ſah ich den ſtol-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/294>, abgerufen am 23.11.2024.
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