Junker. Das ist ein Unglück für ihren Stand, Herr Pfarrer! das sehr weit langt.
Pfarrer. Sie haben ganz Recht, Junker! Ungezwungener, treuherziger und offener sollte Nie- mand mit den Leuten umgehn können, als die Geistlichen. Sie sollten Volksmänner seyn, und dazu gebildet werden; sie sollten den Leuten in den Augen ansehn, was und wo sie reden und schwei- gen sollen. Ihre Worte sollten sie sparen, wie Gold, und sie hergeben wie nichts; so leicht, so treffend und so menschenfreundlich, wie ihr Meister! Aber ach! sie bilden sich in andern Schulen, und man muß Geduld haben, Junker! es sind in allen Ständen noch gleich viel Hindernisse für die liebe Einfalt und für die Natur.
Junker. Es ist so, man kömmt in allen Ständen immer mehr von dem weg, was man eigentlich darinn seyn sollte; man muß oft und viel Zeit, in der man wichtige Pflichten sei- nes Standes erfüllen sollte, mit Ceremonien und Comödien zubringen; und es sind wenige Menschen, die unter der Last der Etikettenformularen und Pedantereyen das Gefühl ihrer Pflichten und das innere Wesen ihrer Bestimmung so rein erhalten, wie es ihnen gelungen ist, mein lieber Herr Pfarrer! Aber an ihrer Seite ist's mir Freude und Lust, die selige Bestimmung meiner Vaterwürde zu füh-
len;
Junker. Das iſt ein Ungluͤck fuͤr ihren Stand, Herr Pfarrer! das ſehr weit langt.
Pfarrer. Sie haben ganz Recht, Junker! Ungezwungener, treuherziger und offener ſollte Nie- mand mit den Leuten umgehn koͤnnen, als die Geiſtlichen. Sie ſollten Volksmaͤnner ſeyn, und dazu gebildet werden; ſie ſollten den Leuten in den Augen anſehn, was und wo ſie reden und ſchwei- gen ſollen. Ihre Worte ſollten ſie ſparen, wie Gold, und ſie hergeben wie nichts; ſo leicht, ſo treffend und ſo menſchenfreundlich, wie ihr Meiſter! Aber ach! ſie bilden ſich in andern Schulen, und man muß Geduld haben, Junker! es ſind in allen Staͤnden noch gleich viel Hinderniſſe fuͤr die liebe Einfalt und fuͤr die Natur.
Junker. Es iſt ſo, man koͤmmt in allen Staͤnden immer mehr von dem weg, was man eigentlich darinn ſeyn ſollte; man muß oft und viel Zeit, in der man wichtige Pflichten ſei- nes Standes erfuͤllen ſollte, mit Ceremonien und Comoͤdien zubringen; und es ſind wenige Menſchen, die unter der Laſt der Etikettenformularen und Pedantereyen das Gefuͤhl ihrer Pflichten und das innere Weſen ihrer Beſtimmung ſo rein erhalten, wie es ihnen gelungen iſt, mein lieber Herr Pfarrer! Aber an ihrer Seite iſt’s mir Freude und Luſt, die ſelige Beſtimmung meiner Vaterwuͤrde zu fuͤh-
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Junker. Das iſt ein Ungluͤck fuͤr ihren
Stand, Herr Pfarrer! das ſehr weit langt.
Pfarrer. Sie haben ganz Recht, Junker!
Ungezwungener, treuherziger und offener ſollte Nie-
mand mit den Leuten umgehn koͤnnen, als die
Geiſtlichen. Sie ſollten Volksmaͤnner ſeyn, und
dazu gebildet werden; ſie ſollten den Leuten in den
Augen anſehn, was und wo ſie reden und ſchwei-
gen ſollen. Ihre Worte ſollten ſie ſparen, wie
Gold, und ſie hergeben wie nichts; ſo leicht, ſo
treffend und ſo menſchenfreundlich, wie ihr Meiſter!
Aber ach! ſie bilden ſich in andern Schulen, und
man muß Geduld haben, Junker! es ſind in allen
Staͤnden noch gleich viel Hinderniſſe fuͤr die liebe
Einfalt und fuͤr die Natur.
Junker. Es iſt ſo, man koͤmmt in allen
Staͤnden immer mehr von dem weg, was man
eigentlich darinn ſeyn ſollte; man muß oft und
viel Zeit, in der man wichtige Pflichten ſei-
nes Standes erfuͤllen ſollte, mit Ceremonien und
Comoͤdien zubringen; und es ſind wenige Menſchen,
die unter der Laſt der Etikettenformularen und
Pedantereyen das Gefuͤhl ihrer Pflichten und das
innere Weſen ihrer Beſtimmung ſo rein erhalten,
wie es ihnen gelungen iſt, mein lieber Herr Pfarrer!
Aber an ihrer Seite iſt’s mir Freude und Luſt,
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/361>, abgerufen am 22.11.2024.
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